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WM 2022 - Nebenrolle ade: Wie Olivier Giroud bei Frankreich Weltfußballer Karim Benzema vergessen macht

Dennis Melzer

Update 14/12/2022 um 13:00 GMT+1 Uhr

Olivier Giroud sollte bei der Weltmeisterschaft in Katar eigentlich mit einer Reservistenrolle bedacht werden. Nachdem Karim Benzema, Frankreichs etatmäßige Nummer neun, kurz vor dem Turnier verletzungsbedingt abreisen musste, sprang der Routinier aber in beeindruckender Manier in die Bresche. Die Geschichte eines dauerhaft Unterschätzten, der nun einen ruhmreichen Rekord hält.

Olivier Giroud

Fotocredit: Getty Images

"Eine Verletzung wie ein Stich", schrieb "L'Équipe", "Le Parisien" wählte die Begriffe "Drama" und "Desaster". Karim Benzemas verletzter Oberschenkel so kurz vor der WM sorgte in Frankreich für reichlich Tristesse und Ungewissheit. Der Weltmeister ohne den Weltfußballer? Ein missliches Szenario.
Nachdem namhafte Spieler wie Paul Pogba, N'Golo Kanté oder Christopher Nkunku bereits ihre Turnierteilnahme verletzungsbedingt abgesagt hatten, schlug die Benzema-"Katastrophe", wie es die normalerweise so vornehme Zeitung "Le Figaro" ausdrückte, kurz vor dem Auftakt in Katar noch einmal so richtig ins blaue Kontor. Die Mission Titelverteidigung erschien nunmehr als Mission impossible.
Doch so unmöglich ist das Kunststück, zum zweiten Mal in Folge den prestigeträchtigen Pokal zu gewinnen, dann doch nicht. Die französische Nationalmannschaft funktioniert bei der Winter-WM erstaunlich gut. Auch weil Benzemas Vertreter Olivier Giroud dieser Tage einen herausragenden Job macht.
Während die ganze Welt über Kylian Mbappé und dessen Dynamik, Technik, Torgefährlichkeit staunt, mausert sich der Mittelstürmer im Schatten des Ausnahmekönners zu einem ebenso wichtigen Baustein. Gleich im ersten Spiel gegen Australien (4:1) steuerte Giroud einen Doppelpack bei, im Achtelfinale gegen Polen (3:1) erzielte er den wichtigen Führungstreffer und zuletzt - im Kracher-Duell mit England - das spielentscheidende 2:1 per Kopf nach einer punktgenauen Flanke von Antonie Griezmann.

Giroud löst Henry als Rekordtorschützen ab

"Ich wusste, dass ich noch eine Chance bekomme. Und so war es dann auch", sagte Giroud, der im Anschluss zum Mann des Spiels gewählt worden war, auf einer Pressekonferenz. Sein Treffer gegen England (2:1) war der 53. Im Dress der Équipe tricolore im 118. Spiel, mit seinem Tor gegen Polen zuvor hatte er den bisherigen Rekordtorschützen Thierry Henry (51 Tore in 123 Spielen) endgültig vom Sockel gestoßen.
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Olivier Giroud ist Frankreichs Rekordtorschütze

Fotocredit: Getty Images

Kein Spieler hat also häufiger für Les Bleus genetzt als Giroud. Und dennoch gilt der 36-Jährige nach wie vor als unterschätzt. "Die Franzosen lieben ihn nicht, aber jetzt verehrt ihn jeder, sogar diejenigen, die ihn kritisiert haben - und ich sehe einige davon hier im Raum", sagte Trainer Didier Deschamps nach der Begegnung mit den hochgehandelten Three Lions in Richtung der französischen Journalisten.

Absurder Facebook-Hass

Giroud und die Franzosen, eine Beziehung, die nur selten intakt war. Zwischenzeitlich nahm der Hass auf den Torjäger abstruse Formen an. Im Vorfeld der Europameisterschaft im eigenen Land 2016 fand ein Facebook-Event mit dem Namen "Beten, dass Giroud sich bis zur Euro verletzt" beispielsweise Zuspruch von 150.000 Nutzern.
Giroud wurde allerdings nicht bloß in seiner Heimat ein ums andere Mal kritisiert, auch in England, wo er zwischen 2012 und 2018 für den FC Arsenal und später dreieinhalb weitere Jahre für den Stadtrivalen FC Chelsea auflief, war der Angreifer nie vollumfänglich anerkannt. Trotz seiner insgesamt 90 Tore in 255 Ligaspielen. Zu ungefährlich, zu langsam, lauteten die Vorwürfe.

Benzema vergleicht Giroud mit einem "Go-Kart"

Selbst Teamkollege Benzema hatte einst gegen Giroud geschossen. In den Sozialen Medien schrieb der Real-Star, dass ein Vergleich zwischen ihm und Giroud so sei, als vergleiche man "die Formel 1 mit einem Go-Kart."
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Karim Benzema und Olivier Giroud

Fotocredit: Getty Images

In Katar fährt es sich für Frankreich im Go-Kart ziemlich ansprechend. "Ich fühle mich sehr gut und auf einem guten Niveau", erklärte der Routinier. Er ergänzte: "Mir wurde mal gesagt, wir seien alle 20 Jahre alt, der Rest sei Erfahrung. Ich spiele wirklich, als wäre ich 20 Jahre alt. Mit der Freude eines Kindes. Ich bin hungrig nach Toren und mein Körper scheint es zu vertragen."

Milan-Wechsel zahlt sich aus

Dass es aktuell so gut läuft, hängt laut Paolo Scaroni, Präsident der AC Mailand, auch mit Girouds Wechsel zur Rossoneri im Juli vergangenen Jahres zusammen. "Wir haben ihn damals wiederbelebt und er hat bei uns frische Motivation erhalten, die er nun mitgenommen und auf die französische Nationalmannschaft übertragen hat", sagte Scaroni im Gespräch mit "Sky Sport Italia". Er schob nach: "Er macht es so gut - und ich denke, dass ein großer Anteil an ihrem Einzug ins Halbfinale ihm zu verdanken ist."
Giroud hat sich durchgebissen. Sowohl bei seinem neuen Arbeitgeber, mit dem er prompt die italienische Meisterschaft feierte (11 Tore in 29 Ligaspielen) als auch im Nationalteam, mit dem er nun nach 2018 erneut den ganz großen Wurf landen könnte. Eines ist im Vorfeld des Halbfinal-Duells mit Marokko (20:00 Uhr im Liveticker) klar: Die Tristesse, die Benzemas Verletzung in der Grande Nation ausgelöst hatte, ist definitiv gewichen. Auch dank des chronisch Unterschätzten.
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Marokko gegen Frankreich wird "ein Krieg": Die Halbfinal-Vorschau

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