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Giro d'Italia 2024 - Georg Steinhauser: Auf solidem Weg über eine Ausbildung und mit viel Selbstvertrauen an die Spitze

Felix Mattis

Update 23/05/2024 um 12:29 GMT+2 Uhr

Georg Steinhauser hat auf der 17. Etappe des Giro d'Italia vom Val Gardena zum Passo Brocon die ganze Radsport-Welt beeindruckt. Nicht nur, weil der 22-Jährige bei seinem Grand-Tour-Debüt eine der schwersten Bergetappen für sich entschieden hat, sondern vor allem damit, wie er das tat - nämlich in gewisser Weise auf Ansage. Im Ziel zog sogar Giro-Dominator Tadej Pogacar den Hut vor dem Youngster.

Highlights: Steinhausers Meisterstück am Passo del Brocon

Lange Zeit hatte sich Pogacar auf dem 17. Teilstück der 107. Italien-Rundfahrt zurückgehalten. Sein UAE-Team verzichtete auf die ganz große Nachführarbeit hinter den Spitzenreitern des Tages und am Ende attackierte Pogacar zwar in der Schlusssteigung noch aus dem Favoritenfeld heraus, doch der Rückstand zu Steinhauser war zu groß.
Der Deutsche erreichte den flacher werdenden Schlusskilometer noch immer mit knapp zwei Minuten Vorsprung und konnte dann auf den letzten 500 Metern schon langsam mit dem Grinsen beginnen und seinen Tagessieg schließlich ausgelassen feiern.
Kurz vor der Ziellinie griff er sich ans Funkgerät und brüllte seine Freude dort hinein, um sein ganzes Team daran teilhaben zu lassen.
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Steinhauser krönt Husarenritt - Pogacar attackiert zu spät

"Fuck, ich habe gute Beine!"

"Es ist unglaublich", strahlte er schließlich im Sieger-Interview und erzählte dann: "Auf dem Weg zur Einschreibekontrolle habe ich mir schon gesagt: 'Fuck, ich habe gute Beine! Vielleicht gewinne ich heute!'"
Auch wenn er das nicht öffentlich kund tat, so war der größte Erfolg seiner noch jungen Profikarriere also einer mit Ansage - zumindest an sich selbst, und auch an seinen Vater.
Denn Tobias Steinhauser, der just an diesem Tag als Studiogast für den Velo Club auf dem Weg zu Eurosport war, kündigte bei seiner Abfahrt in Richtung München bereits an: "Ich glaube, er probiert es heute", und schickte ein Zwinkersmiley hinterher.
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Papa in Tränen: So erlebte Tobias Steinhauser den Sieg von Sohn Georg

Als Steinhauser Senior, selbst im Jahr 2000 WM-Fünfter in Plouay und in den Jahren danach enger Wegbegleiter von Jan Ullrich bei Bianchi und T-Mobile, dann im Studio saß und seinen Sohn dem Ziel entgegenfahren sah, wurden seine Augen feucht.
"Ich bin einfach stolz, das sind pure Emotionen. Ich gönn's ihm so - und ich glaube, die meisten anderen auch", sagte der 52-Jährige und vermutete im Bezug auf die Zurückhaltung, die der Giro-Leader diesmal an den Tag legte, anstatt seinen sechsten Tagessieg zu jagen: "Ich glaube, auch Pogacar hat es ihm gegönnt."

Pogacar zollt dem angriffslustigen Youngster Respekt

Dem pflichtete auch Eurosport-Experte Rolf Aldag bei. "Pogacar hat ihn schon nach der Königsetappe namentlich erwähnt", erinnerte der Bora-hansgrohe-Sportchef an den Sonntag, als Steinhauser in Livigno Dritter wurde, nachdem er auch da lange in der Spitzengruppe gefahren war.
"Viele Leader kennen diese Jungs gar nicht, aber Pogacar respektiert die Jungen und wie sie fahren – dieses Offensive und dass sie Spaß daran haben. Ich glaube, da hat er sich schon so viel Respekt erarbeitet und dass Tobis Theorie, Pogacar habe aus Respekt in erster Linie verwaltet, nicht ganz falsch ist."
Geschenkt bekam Steinhauser seinen ersten Profisieg aber ganz und gar nicht. Früh in der 17. Etappe, im ersten von fünf kategorisierten Anstiegen am Sellajoch setzte er sich mit der zehnköpfigen Ausreißergruppe des Tages ab, die aber lange Zeit nur wenig Vorsprung bekam und zu Rennhalbzeit am Passo Gobbera (3. Kat.) vom durch dsm-firmenich - PostNL angeführten Feld wieder eingefangen wurde.
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Steinhauser im Sieger-Interview: "Verdammt, ich habe gute Beine!"

Für viele Angreifer ist der Arbeitstag in einem solchen Moment gelaufen, doch Steinhauser und der Eritreer Amanuel Ghebreigzabhier (Lidl - Trek) gaben nicht auf. Sie versuchten es kurz darauf, als das Tempo etwas herunterfiel noch einmal und spekulierten darauf, dass hinten nun gezögert würde. Und damit hatten sie recht.
Kontinuierlich baute das Duo seinen Vorsprung zum Feld wieder auf rund zwei Minuten aus, bevor Steinhauser seinen Begleiter nach bis dahin guter Zusammenarbeit schließlich bei der ersten von zwei Auffahrten auf den Passo Brocon stehen ließ.
Und auch der 29-Jährige zeigte da schon Respekt vor dem Deutschen: Weil beide gut kooperiert hatten und der Eritreer einfach nicht mehr die Kraft hatte, deutete er Steinhauser mit einer Kopfbewegung an: 'Fahr ohne mich weiter.'
Die letzten 34 Kilometer bestritt Steinhauser dann im Solo dem Sieg entgegen.

Voigt: "Er wollte es mehr, als alle anderen"

"Ich bin von Beginn an in die Gruppe gegangen und es war etwas komisch, weil wir vom Feld wieder eingeholt wurden recht spät im Rennen. Aber ich habe dann entschieden, dass ich es noch mal versuchen muss. Und es hat geklappt", fasste der Sieger strahlend zusammen.
"Schon auf der 8. Etappe hatte ich gute Beine und gemerkt, dass sie vielleicht sogar gut genug sind, um hier eine Etappe zu gewinnen. Die Königsetappe war dann ein unglaublicher Tag. Damit wäre ich schon glücklich gewesen."
So aber kam noch das Tüpfelchen auf dem i hinzu. "Heute war er nicht nur gut, er wollte es auch mehr als alle anderen", meinte Eurosport-Experte Jens Voigt im Velo Club und Steinhausers Sportlicher Leiter Matti Breschel sagte in einem emotionalen Interview am Eurosport-Mikrofon im Ziel: "Er war den ganzen Tag in der Gruppe, wurde gestellt und hat es wieder versucht - das ist ein wirklich verdienter Sieg und ich bin richtig, richtig glücklich und stolz auf ihn. Wir wissen, er ist ein riesiges Talent und das war sicher nicht das letzte Mal, dass wir ihn sehen."
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Freudentränen hinter der Sonnenbrille: Steinhauser-Coach im Interview

Da ist sich auch Aldag sicher. "Ohne ihn über den Klee zu loben: Da kommt noch viel", meinte der 55-Jährige und lobte auch den Weg des 22-Jährigen, der über ein eher kleineres Kontinental-Team, den Rennstall Tirol – KTM aus Österreich, anstatt die Development-Mannschaft eines großen WorldTour-Rennstalls zum Profi geworden ist.
"Er ist ein gutes Beispiel, wie es auch geht. Denn das ist ja nicht der Trend. Der ist eher, dass die Manager schon bei 17-Jährigen und ihren Eltern im Wohnzimmer sitzen und große Versprechungen machen. Da hilft uns die Familie Steinhauser schon extrem, weil es zeigt, dass es auch erstmal über eine Ausbildung geht."

Solider Weg über Ausbildung und kleineres KT-Team

Und Steinhauser Senior erklärte: "Es war mir wichtig, dass er als Jungspund zwischen 18 und 20 auch lernt, wie das richtige Leben funktioniert. Ich denke, da haben wir mit Ausbildung und so weiter den Grundstein gelegt."
Georg Steinhauser hat nach der Schule zunächst die Ausbildung zum Metallbauer absolviert – sein Vater hatte nach seiner Profikarriere von wiederum seinem Vater den Betrieb Steinhauser Metalltechnik übernommen.
Erst als die Ausbildung sich dem Ende zuneigte, wurde der Weg zum Profidasein eingeschlagen. Steinhauser Junior wurde schon da vom alten Profi-Kollegen und Kumpel seines Vaters, Michele Bartoli, trainiert – Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre Sieger von den Monumenten Lüttich-Bastogne-Lüttich, Flandern-Rundfahrt und Il Lombardia.
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Wer ist Georg Steinhauser? Papa Tobias und der Velo Club stellen vor

"Da spricht sich schon irgendwann rum, wie einer sich entwickelt. Dann war Vaughters (Teamchef von EF Education – EasyPost, Anm. d. Red.) einer der ersten, der sich interessiert hat", erzählte Tobias Steinhauser im Velo Club über den Weg zum Profi-Vertrag Ende 2021.
Bartoli war auch einer der ersten, der beim Vater im Eurosport-Studio anrief, um zu gratulieren.

Beeindruckend: Ohne Pulsuhr oder Wattmesser

Ob das auf den verbleibenden zwei Bergetappen nochmal passiert, scheint fraglich. Von der enormen Belastung am Mittwoch wird sich Georg Steinhauser erstmal erholen müssen. Doch der Weg zu weiteren Erfolgen scheint geebnet – weil der 22-Jährige, der schon im März bei Tirreno-Adriatico und der Katalonien-Rundfahrt als Ausreißer glänzte, sich stark präsentierte und neben der reinen Physis eben auch den passenden Kopf hat.
Das zeigt sich auch an seiner Fahrweise bei seinem ersten Giro. Schon vor Rundfahrt-Start hatte er sich die Etappen 8 und 15 angestrichen, um dort etwas zu probieren. An beiden Tagen schaffte er es dann auch in die Spitzengruppe. Und was besonders beeindruckte: "Auf der 15. Etappe ist er ohne Pulsuhr und ohne Powermeter und alles gefahren – rein nach Gefühl", erzählte sein Vater. "Das ist für mich ganz wichtig, dass er das auch kann."
Gerade bei Youngstern wie Georg Steinhauser ist das eine sehr beeindruckende Fähigkeit.
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Rotzfrech auf Platz drei: Sogar Pogacar lobt Steinhauser


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