Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

Betrugsdebatte im Skispringen: Ex-Material-Chef Sepp Gratzer geht auf Nachfolger im Skisprungweltcup los

Marc Hlusiak

Update 09/02/2023 um 18:33 GMT+1 Uhr

Der langjährige Chefkontrolleur Sepp Gratzer äußert harsche Kritik an seinen Nachfolgern und macht diese für die aktuelle Betrugsdebatte im Skispringen verantwortlich. "Die haben versagt", so der 67-Jährige gegenüber "Blick". Den neuen Weltcup-Materialchef Christian Kathol hält Gratzer für eine Fehlbesetzung. "Es fehlt an Fingerspitzengefühl, an Wissen und Kommunikation", so der Österreicher.

Sepp Gratzer

Fotocredit: Imago

Im Frühjahr 2021 trat Sepp Gratzer als Chefkontrolleur im Skisprungweltcup zurück und wurde vom Finnen Mika Jukkara ersetzt. Dieser hielt sich jedoch nur rund ein Jahr im Amt, bevor er auf eigenen Wunsch ebenfalls ersetzt wurde.
Christian Kathol und sein Team sind seitdem verantwortlich für die Materialkontrolle vor den Weltcupspringen - und damit auch für die aktuell heiß diskutierten Betrugsvorwürfe gegen praktisch alle Teams.
Ein namentlich nicht genannter, aber noch aktiver Athlet packte Anfang Februar gegenüber "Blick" aus. "Zurzeit kann ich die Anzugskontrollen nicht ernst nehmen", sagte dieser und nahm sich auch selbst von der Schummelei nicht aus. Beim Skifliegen am Kulm sprang er angeblich mit einem verbotenen Anzug ("das Volumen war zu groß"), passierte die Schrittkontrolle vor dem Start jedoch problemlos.
"Ich ziehe den Anzug nach oben, sodass an meinen Schultern vorübergehend deutlich mehr Stoff ist", erklärte der Athlet die Vorgehensweise, die derzeit "praktisch alle" anwenden würden. Die Beinlänge werde damit auf das geforderte Maß ausgedehnt. Das Ziel: eine möglich kurze Beinlänge. "Je kürzer die ist, desto voluminöser der Schritt" - und das verstärkt dann den Segeleffekt.

Bewährte Messmethode wird nicht mehr verwendet

Mit dem Rücktritt von Gratzer-Nachfolger Jukkara verabschiedete sich auch eine bewährte Messmethode, die obiges Vorgehen erschwert, womöglich gar verhindert hat. Unter Gratzer wurden die Maße der Springer im Stehen genommen, aktuell werden die Sportler jedoch im Sitzen oder Liegen vermessen. "Ein Fehler", wie Gratzer findet.
"Wenn der Athlet auf einer Platte steht, ist der Bodenkontakt gewährleistet. Im Liegen ist der Fußkontakt mit einer Fläche schwieriger. Sofort nehmen die Manipulations-Möglichkeiten zu."
picture

Die "Eisei"-Faust ist zurück: Eisenbichler setzt Aufwärtstrend fort

Ein Vorwurf, den er dem aktuellen Chef-Kontrolleur Kathol unverblümt macht. Der Österreicher arbeitet seit 2005 in verschiedenen Funktionen bei der FIS und war in den vergangenen Jahren als Materialkontrolleur im Weltcup tätig. Laut Gratzer fehlt es ihm trotzdem an Qualifikation für den Job des Materialchefs: "Der hat nie richtig gelernt, wie das geht. Es fehlt an Fingerspitzengefühl. Es fehlt an Wissen. Es fehlt an der Kommunikation", schimpft der Kärntner.
Einen Angriff, den Kathol umgehend kontert: "An Kommunikation fehlt es in der Tat, allerdings aus der Richtung von Herrn Gratzer. Uns wurde ein komplett intransparentes System übergeben. So wurden beispielsweise Absprachen mit Ski- und anderen Materialherstellern getroffen, über die es keinerlei Aufzeichnungen und Dokumentationen gab."

Gratzer zerlegt 14-köpfiges Kathol-Team

Für Gratzer alles nur Ausreden. "Der einzige, der die Material-Kontrollen von der Pike auf kennt, ist der Schweizer Berni Schödler", schießt der 67-Jährige in Richtung des 14-köpfigen Kontrollteams von Kathol. Schödler ist aktuell Material-Verantwortlicher im Continental Cup, wenn man so will die zweite Liga im Skispringen. In Kathols Team jedoch finde sich keinerlei vergleichbare Expertise. So kann Gratzer beispielsweise nicht verstehen, wieso der Schweizer Hubert Mathis mit im Team ist.
picture

Zu spät am Tisch? Egal! Granerud in Willingen in eigener Liga

"Er ist ein sehr guter Funktionär, ein guter Veranstaltungschef. Aber als Kontrolleur hat er keine Erfahrung." Kathol jedoch verteidigt sein Team und schiebt den Schwarzen Peter zurück zu seinem Vorvorgänger. Dieser habe mit den meisten dieser Kollegen in leitender Funktion über zehn Jahre zusammengearbeitet und war zudem aktiv an der Auswahl dieser Personen beteiligt. "Wenn die Aussage von ihm stimmt, wurde die Aus- und Weiterbildung des Personals über einen sehr langen Zeitraum schwer vernachlässigt."

Gratzer geht Kathol an: "Sagt alles"

Ob sich Gratzer diesen Schuh anzieht? Wohl eher nicht: "Meine Nachfolger sind derart abgehoben, dass sie glauben, sie können alles. Wohin das geführt hat, sehen wir jetzt." Kathol kritisierte, dass er von Gratzer "nicht ein Blatt Papier" übergeben bekommen habe, obwohl dieser zwei Jahrzehnte im Amt gewesen sei. Gratzer hingegen stellte ungläubig fest, dass sich "nie jemand bei mir gemeldet" habe.
Dass Kathol gegenüber "Blick" kürzlich mehr Personal für die Kontrollen forderte, geht Gratzer komplett gegen den Strich: "Früher haben wir das zum Großteil auch alleine geschafft. Wir standen den Teams Tag und Nacht vor Ort zur Verfügung. Einen Material-Wirbel wie den jetzigen gab es nie."
Dass sich unzufriedene Skispringer heutzutage bei den Medien aussprechen und nicht das Gespräch mit Kathol suchen würden, sage "alles über die neue Führung", so Gratzer.
picture

Windchaos in Willingen: Zajc stürzt bei unglaublichen 161,5 Metern

Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Ähnliche Themen
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung