Markus Eisenbichler im Eurosport-Interview zum Start der neuen Skisprung-Saison: "Das macht einen regelrecht süchtig"
Olympia-Teilnehmer, nationaler Skiflug-Rekordhalter und Weltmeister - Markus Eisenbichler zählt zu den erfolgreichsten deutschen Skispringern der Geschichte. Im März beendete der 34-Jährige seine erfolgreiche Karriere, als Eurosport-Experte bleibt er dem Skisprung-Zirkus aber erhalten. Im Exklusiv-Interview blickt er auf die neue Weltcup-Saison und bewertet die Chancen der DSV-Adler.
Eisenbichler genießt das Rentnerleben, aber: "Manchmal geht's mir ab"
Quelle: Eurosport
Kaum ein anderer prägte das Skispringen in Deutschland in den vergangenen Jahren so sehr wie Markus Eisenbichler. Zwei Olympia-Teilnahmen, sechs WM-Medaillen und ein zweiter Platz in der Gesamtwertung der Vierschanzentournee sind nur einige seiner zahlreichen Erfolge.
Im März dieses Jahres beendete der 34-Jährige seine aktive Laufbahn, um sich neuen Projekten zu widmen.
Eines davon ist seine Rolle als neuer TV-Experte bei Eurosport - ein Job, den der Ur-Bayer zum Auftakt der Weltcup-Saison (Freitag ab 16:00 Uhr live im Free-TV auf Eurosport und bei discovery+) erstmals ausüben wird.
Im exklusiven Interview blickt Eisenbichler auf den Start in Lillehammer, schätzt die Chancen der deutschen Springer ein und spricht zudem über die Konkurrenz sowie den angekündigten Rückzug von DSV-Bundestrainer Stefan Horngacher.
Markus Eisenbichler, wie geht es Ihnen und wie bekommt Ihnen das Rentnerdasein?
Markus Eisenbichler: Mir geht's ganz gut. Das Rentnerdasein gefällt mir, auch wenn ich den Sport natürlich sehr gerne gemacht habe und viele schöne Erinnerungen damit verbinde. Schließlich durfte ich meine Leidenschaft ausleben. Ein bisschen fehlt mir das Springen schon - das habe ich gemerkt, als ich vor Kurzem meine ehemaligen Teamkollegen auf der Schanze gesehen habe. Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit meiner Arbeit und meinem Leben nach der Sportlerkarriere.
Sie haben nach Ihrem Rücktritt am Ende der Vorsaison gesagt, dass das Karriereende eine 'Erlösung' war - war es mit etwas Abstand nach wie vor die richtige Entscheidung?
Eisenbichler: Auch mit ein bisschen Abstand muss ich sagen, dass es definitiv die richtige Entscheidung war. Ich kann jetzt vielen sportlichen Aktivitäten nachgehen, die vorher - auch wegen der Verletzungsgefahr - nicht möglich waren. Ab einem gewissen Alter endet nun mal die Reise als Leistungssportler, auch wenn wir Skispringer unsere Karriere vergleichsweise lange ausüben können. Ich habe aber leider nicht ganz so gute Knochen wie Noriaki Kasai oder Simon Ammann. Stattdessen habe ich gemerkt, dass mein Körper die hohe Belastung, verbunden mit den langen Reisen, den Fliehkräften und dem Landedruck, nicht mehr so gut weggesteckt hat - vor allem, wenn man mehrere Verletzungen hinter sich hat. Ich bin daher sehr zufrieden, dass ich einen Schlussstrich gezogen habe. Aktuell geht es mir körperlich auch wirklich gut, besonders was die Knie- und Rückenschmerzen im Vergleich zu früher angeht. (lacht)
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"Schau dir den an!" Eisenbichler legt fürs DSV-Team nochmal alles rein
Quelle: Eurosport
Was vermissen Sie am meisten?
Eisenbichler: Das Fluggefühl und den Nervenkitzel, wenn man in der Luft ist und sich schwerelos fühlt. Das kann man kaum beschreiben, das muss man erlebt haben. Das fesselt einen und macht regelrecht süchtig. Ich war zuletzt in Garmisch-Partenkirchen und habe den Jungs beim Springen zugesehen. Am liebsten wäre ich da sofort nochmal hochgegangen, hätte die Skier angeschnallt und ein paar Sprünge gemacht. Ich glaube, meine Festplatte im Kopf hätte das Prozedere noch abgespeichert. Da hat es mich wirklich in den Fingern gejuckt - aber am Ende hat dann doch der Verstand gesiegt.
Blicken wir auf die neue Saison: Philipp Raimund hat mit dem Gewinn des Sommer-Grand-Prix‘ für einen Paukenschlag gesorgt, was trauen Sie ihm in diesem Winter zu?
Eisenbichler: Ich durfte ihn ja bereits während meiner aktiven Karriere verfolgen und muss sagen, dass der Junge sehr gute Anlagen hat - besonders, was die Absprungtechnik und die Skiführung angeht. Flugtechnisch musste er noch dazulernen, aber auch das hat er inzwischen verfeinert. Es war wirklich beeindruckend, was er beim Sommer-Grand-Prix abgeliefert hat. Wenn er an den Start gegangen ist, war er immer vorne dabei - das muss man erst einmal machen. Zumal viele Springer am Start waren, die ein sehr hohes Niveau hatten, speziell das österreichische Team oder auch Ryoyu Kobayashi. Trotzdem hat er sich behauptet. Ich traue ihm daher in diesem Winter viel zu. Ich hoffe, dass er die Ruhe behält und sich nicht beirren lässt. Während meiner aktiven Karriere habe ich gelernt, dass man sich im Skispringen auf sich selbst konzentrieren muss. Wenn er das schafft und die ganzen Außengeräusche ausblendet, kann er auch im Winter sehr gut performen. Das wird sich zu Saisonbeginn gleich zeigen, und ich hoffe, dass er sich selbst nicht zu viel Druck macht, sondern ganz entspannt reingeht. Ob man zum Auftakt 15. wird oder gewinnt, interessiert am Ende der Saison keinen mehr. Er muss einfach konstant durchziehen und bei den Top-Events entspannt und bereit sein. Ich würde mir wünschen, dass genau das einer der deutschen Springer umsetzt.
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Philipp Raimund, hier nach seinem Podestplatz in Courchevel, hat auch am Ende der Sommer-Grand-Prix-Serie 2025 allen Grund zur Freude: Der 25-Jährige holte sich in Klingenthal den Gesamtsieg.
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Philipp Raimund, Pius Paschke oder auch Felix Hoffmann, der als deutscher Meister überraschen könnte, traue ich sogar einen Podestplatz zu.
Der große Hoffnungsträger Andreas Wellinger hat eine Saison voller Auf und Abs hinter sich - was stimmt Sie optimistisch, dass er in diesem Winter wieder konstant vorne mitspringen kann?
Eisenbichler: Andi ist seitdem er 17 Jahre alt und noch ein kleiner Junge war im Weltcup unterwegs. Er hatte ein, zwei Dellen, aber ansonsten war er all die Jahre sehr stabil. Er hat die Erfahrung, die Ruhe und weiß, worauf es ankommt. Auch im vergangenen Sommer lief es vielleicht nicht optimal, aber ich glaube - so wie ich ihn kenne -, dass er genau analysiert hat, woran er schrauben muss. Das Fluggefühl hat er ohnehin, und wenn das mit dem Material zusammenpasst, dann dauert es nur ein paar Wochen, bis er sich wieder reinfuchst und Selbstvertrauen sammelt. Dann ist er auch wieder vorne mit dabei, da bin ich mir ganz sicher.
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Eisenbichler begeistert von Raimund: "Das war schon beeindruckend"
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Letztes Jahr gab es aus deutscher Sicht dank Pius Paschke einen phänomenalen Saisonstart. Was rechnen Sie den DSV-Adlern dieses Mal in Lillehammer aus?
Eisenbichler: Ich traue den Deutschen grundsätzlich viel zu. Die Schanze in Lillehammer gefällt mir sehr gut, weil sie etwas mehr Charakter hat und naturbelassen ist - anders als viele neuere Anlagen. Wir sind dort traditionell immer gut zurechtgekommen. Wenn die ersten Durchgänge im Training und in der Qualifikation funktionieren und sie sich von Sprung zu Sprung steigern, dann traue ich ihnen einiges zu. Ich möchte nicht gleich vom Podest sprechen, aber eine Top-Ten-Platzierung wäre aus meiner Sicht ein guter Einstand. Man darf nicht vergessen, dass die komplette Weltelite am Start sein wird. Ein Ergebnis unter den ersten Zehn hat mir selbst immer Sicherheit gegeben, weil man als Athlet weiß, dass man bei der "Musik" dabei ist. Darauf kann man für die folgenden Weltcups aufbauen. Philipp Raimund, Pius Paschke oder auch Felix Hoffmann, der als deutscher Meister überraschen könnte, traue ich sogar einen Podestplatz zu. Natürlich müssen aber alle erst einmal in den Winter reinkommen, und wir werden sehen, wie sie sich in der Qualifikation und im Mixed-Team-Springen schlagen. Ich drücke ihnen auf jeden Fall die Daumen.
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Pius Paschke hat vor einem Jahr einen sensationellen Saisonstart hingelegt
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Wer sind Ihrer Meinung nach die größten Konkurrenten in diesem Winter?
Eisenbichler: Nach allem, was ich in der Vorbereitung gesehen habe, glaube ich vor allem an die Österreicher. Mit Daniel Tschofenig und Jan Hörl haben sie zwei Athleten, die beim Sommer-Grand-Prix immer Top-Sprünge gezeigt haben, wenn sie am Start waren. Beide haben eine extrem gute Technik. Das Gleiche gilt für Ryoyu Kobayashi. Und auch mit Stefan Kraft ist natürlich immer zu rechnen. Außerdem hoffe ich, dass das polnische Team wieder näher ran kommt. Kamil Stoch ist sehr erfahren, und wenn bei ihm der Knoten platzt, ist er eine Maschine. Das hat er über viele Jahre bewiesen, auch wenn es zuletzt über einen längeren Zeitraum nicht mehr so lief. Ich denke, dass es die üblichen Verdächtigen sein werden, hoffe aber auf ein paar Überraschungen. Mich freut es persönlich immer, wenn die Underdogs auftrumpfen.
An wen denken Sie konkret?
Eisenbichler: Ich drücke Gregor Deschwanden die Daumen, dass er an seinen guten Start aus der Vorsaison anknüpfen kann. Er ist ein heißes Eisen. Bei der norwegischen Mannschaft wird man sehen, wie sie in die Saison reinkommen. Nach allem, was ich bislang gesehen habe, glaube ich, dass sie schon sehr weit sind. Nach den ersten Sprüngen und der Qualifikation wird sich zeigen, wo jeder steht, und dann werden die Stellschrauben etwas enger gezogen. In Richtung Vierschanzentournee spitzt sich der Konkurrenzkampf ohnehin noch einmal zu - da geht es dann richtig um die Wurst.
Ich persönlich würde mich freuen, wenn ein deutscher Trainer die Nachfolge von Stefan Horngacher beim DSV antreten würde, denn wir haben wirklich sehr, sehr gute Coaches.
Bundestrainer Stefan Horngacher hat kürzlich verkündet, dass er am Ende der Saison sein Amt niederlegen wird. Wie bewerten Sie die Entscheidung?
Eisenbichler: Ein Stück weit war es vorhersehbar, und ich wusste, dass er nicht mehr allzu lange Bundestrainer bleiben wird. Er hat gesagt, dass seine erste Weltmeisterschaft als Trainer in Predazzo war (2013 als deutscher Co-Trainer unter Werner Schuster; Anm. d. Red.) - mit den Olympischen Winterspielen am gleichen Ort schließt sich jetzt dieser Kreis. Ob er in die Jugendarbeit wechseln oder sich einer anderen Nation anschließen wird, wird sich noch zeigen. Das wird er zum passenden Zeitpunkt bekannt geben. Ich habe ihn als sehr akribischen Arbeiter kennengelernt und glaube daher, dass er die Saison mit Vollgas durchziehen und versuchen wird, das deutsche Team bestmöglich nach vorne zu bringen. Der DSV hat nun genügend Zeit, um einen geeigneten Nachfolger zu finden, und ich bin sehr gespannt, wer das sein wird.
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Markus Eisenbichler (l.) und Stefan Horngacher in der Weltcupsaison 2022/23
Fotocredit: Imago
Wer könnte ihm nachfolgen und welches Profil muss sein Nachfolger mitbringen?
Eisenbichler: Der Cheftrainer ist derjenige, der den großen Überblick behält und auch die Trainingspläne erstellt. Daher muss er in seiner Arbeit sehr akribisch, gut organisiert und medial geschult sein. Die Cheftrainer arbeiten zwar nah am Athleten dran und stehen im Austausch mit ihnen, aber die Basisarbeit leisten die Co- und Heimtrainer. In meinem Kopf schweben ein paar Namen herum, wie zum Beispiel Alexander Stöckl, den ich persönlich sehr schätze. Obwohl er mich nie trainiert hat, war er immer freundlich und respektvoll. Außerdem habe ich nur Gutes über ihn gehört, und er bringt die nötige Erfahrung mit. Wen ich mir ebenfalls vorstellen könnte, wäre Roar Ljökelsöy, mit dem ich bereits sehr gut zusammengearbeitet habe, als er als Co-Trainer im deutschen Team tätig war. Das Gleiche gilt für einen unserer ehemaligen Assistenztrainer, Bernhard Metzler, mit dem ich ähnliche Erfahrungen gemacht habe. Es gibt viele hervorragende Trainer - die Frage ist nur, wie sie in das System hineinpassen. Ich persönlich würde mich freuen, wenn ein deutscher Trainer die Nachfolge von Stefan Horngacher beim DSV antreten würde, denn wir haben wirklich sehr, sehr gute Coaches.
Den zweiten Teil des großen Interviews mit dem neuen Eurosport-Experten gibt es am Donnerstag, 20. November.
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Quelle: Eurosport
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