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Martin Schmitt exklusiv zur Vierschanzentournee: DSV-Adler nicht in der Favoritenrolle, aber ...

Tobias Laure

Update 27/12/2022 um 12:17 GMT+1 Uhr

Deutschlands Skispringer sind alles andere als optimal in den Winter gestartet, die Ergebnisse im Weltcup gleichen einer Achterbahnfahrt. Dennoch sei die Situation vor der Vierschanzentournee "psychologisch gesehen günstig für die DSV-Adler", sagt Martin Schmitt im Exklusiv-Interview mit Eurosport.de. Gerade bei Karl Geiger sei viel drin. Als Topfavoriten sieht Schmitt aber einen anderen Springer.

Schmitt erklärt: Das sind die vier Schlüssel zum perfekten Sprung

"Ich selbst habe das ja nicht hinbekommen", erzählt Martin Schmitt im Gespräch mit Eurosport.de und lacht.
Der 44-Jährige meint damit den Sieg bei der Vierschanzentournee. Zweimal war er knapp dran, wurde in der Endabrechnung jeweils Dritter (2000 und 2001).
Eine Platzierung, die für Karl Geiger in diesem Winter ein Erfolg wäre, findet Schmitt, der die Tournee als TV-Experte für Eurosport begleitet.
Geiger habe trotz einiger Schwierigkeiten "in einzelnen Versuchen schon bewiesen", dass er mit der Spitze mithalten kann. Die Favoritenrolle haben indes andere inne, vor allem die Weltcup-Dominatoren Dawid Kubacki und Anze Lanisek.
Aus deutscher Sicht wird es schwierig, die mehr als 20-jährige Durststrecke seit Sven Hannawalds Tournee-Triumph in der Saison 2001/2002 zu beenden.
"Der DSV hatte über die Jahre eine ganze Reihe sehr guter Springer mit exzellenten Leistungen, aber nicht den einen, großen Dominator", betont Schmitt und sieht darin einen der Gründe. Immerhin: Aus psychologischer Sicht sei die Ausgangslage für die Mannschaft von Bundestrainer Stefan Horngacher durchaus "günstig".
Das Interview führte Tobias Laure.
Herr Schmitt, wen halten Sie für den stabilsten DSV-Adler? Bei der Tournee müssen ja acht Sprünge passen, hinzu kommt jeweils die Qualifikation.
Martin Schmitt: Aus meiner Sicht ist das Karl Geiger. Er liegt auf Platz sieben im Gesamtweltcup, das ist keine schlechte Position. Sicher lief die Saison bislang durchwachsen und seine Leistung war nicht optimal. Er war auf der Suche, was aber auch für Marius Lindvik, Kamil Stoch oder Ryoyu Kobayashi gilt, die ich noch weiter hinten sehe. Wenn das bei Karl die Formkrise ist, dann ist sie eigentlich gar nicht so verkehrt. Er hat in einzelnen Versuchen schon bewiesen, dass er aufschließen kann. In seinem Sprung steckt das Potenzial, um einen Wettbewerb zu gewinnen.
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Starker zweiter Sprung: Geiger fliegt aufs Podest in Titisee-Neustadt

Was fehlt noch speziell im Hinblick auf die Tournee?
Schmitt: Karl braucht die Konstanz. Ganz so leicht ist es nicht, gute Sprünge in Serie abzurufen und hinzuzaubern. Das Team weiß aber, was Karls Sprung ausmacht und woran man jetzt arbeiten muss. Genau das wird nun passieren.
Das war eine Prüfung und Wellinger hat sie bestanden. Andis Fundament ist stabil. Er hat sich im Sommer einiges erarbeitet und ist jetzt beim ersten Sturm nicht zusammengebrochen.
Bei Andreas Wellinger, der 2018 Olympiasieger auf der Normalschanze wurde und den in den Folgejahren massive Verletzungsprobleme plagten, lässt sich ebenfalls ein Aufwärtstrend beobachten.
Schmitt: Stimmt, die Entwicklung ist positiv. Beim Weltcup vor zwei Wochen in Titisee-Neustadt gab es allerdings zwei Dinge, die ärgerlich waren: Zum einen der Sturz im Training, der ihn am Sprunggelenk behindert und ihm einen blauen Arm beschert hat. In einer extrem feinfühligen Sportart wie dem Skispringen läuft es dann nicht mehr so geschmeidig. Zum anderen passte die Anlaufgeschwindigkeit nicht. Das hat Andreas Wellinger allerdings in den Griff bekommen. Eine Woche später in Engelberg war er wieder schnell unterwegs, der Ski ist gut gelaufen. Da man bei der Tournee ebenfalls auf diesen künstlichen Spuren anfährt, sollte diese Kuh nun vom Eis sein.
Der sechste Platz bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg müsste Wellinger Aufwind geben.
Schmitt: Ja, das war eine Prüfung und er hat sie bestanden. Andis Fundament ist stabil. Er hat sich im Sommer einiges erarbeitet und ist jetzt beim ersten Sturm nicht zusammengebrochen. Das wird ihm Selbstvertrauen geben für die Tournee.
Dennoch: Wenn ein Karl Geiger sich schwertut und ein Markus Eisenbichler seine Form sucht, wirkt sich das auf die ganze Mannschaft aus. Besteht die Gefahr, dass die DSV-Adler in eine Abwärtsspirale geraten?
Schmitt: Grundsätzlich kann das passieren. Problematisch wird es immer, wenn im Team der Glaube fehlt, wenn keiner da ist, der zumindest in einzelnen Sprüngen vorne herankommt. Es entsteht das Gefühl, dass die anderen zaubern und man selbst nicht über die nötigen Mittel verfügt. Eine schwierige Situation ...
... in der Deutschland steckt?
Schmitt: Nein. Davon sind wir weit entfernt! Die Mannschaft verfügt über genug Selbstvertrauen, um schnell wieder zu einem Topteam heranzuwachsen.
Football is coming home, sage ich da nur. Das dauert ja auch seit Jahrzehnten an mit Englands Fußballern ... aber es stimmt: Es ist lange her, dass Sven die Tournee gewonnen hat.
Zumindest die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit ist in diesem Jahr niedriger. Es wird nicht damit gerechnet, dass die DSV-Auswahl den Tournee-Sieger stellt. Ein Vorteil?
Schmitt: Im Vorfeld mag das ein wenig den Druck nehmen, nur wollen die Springer selbst ja wieder an die Spitze herankommen. Aber natürlich ist die Ausgangslage in diesem Jahr eine andere. Wenn der Karl die Tournee als Dritter beendet, ist alles positiv. Wenn ich dagegen mit dem Gelben Trikot anreise und dann auf Platz drei abschließe, ist die Enttäuschung groß. Also ja: Psychologisch gesehen ist die Situation günstig für die DSV-Adler.
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"Sensationell!" Wellinger brilliert im Finale von Engelberg

Die Frage, wann es denn endlich klappt mit dem ersten deutschen Tournee-Sieg seit Sven Hannawald in der Saison 2001/2002, wird aber trotzdem aufkommen. Muss ziemlich nervig sein für die Aktiven, oder?
Schmitt: Football is coming home, sage ich da nur. Das dauert ja auch seit Jahrzehnten an mit Englands Fußballern ... aber es stimmt: Es ist lange her, dass Sven die Tournee gewonnen hat. Wir waren über die Jahre mit verschiedenen Leuten dicht dran, die Voraussetzungen für den Gesamtsieg waren da. Ich bin aber nicht in der Situation, dass ich sagen kann: 'So muss man es machen!' Ich habe es auch nicht hinbekommen (lacht). Was man sagen kann: Der DSV hatte über die Jahre eine ganze Reihe sehr guter Springer mit exzellenten Leistungen, aber nicht den einen, großen Dominator. Immer wieder hat es aufgrund unglücklicher Umstände nicht hingehauen, eine Dominanz wie von Kobayashi im vergangenen Winter oder Dawid Kubacki zu Beginn dieser Saison hat aus dem deutschen Team allerdings niemand entwickelt. Und selbst wenn: Du brauchst trotzdem das nötige Quäntchen Glück bei acht Wertungssprüngen während einer Tournee.
Stoch versucht aber nicht, seine Schwächen mit Gewalt abzustellen. Wenn er eine Lösung findet, kann es bei ihm sehr schnell auf ein anderes Niveau gehen.
Als Favoriten bei der Vierschanzentournee gelten Dawid Kubacki und Anze Lanisek, die den Weltcup dominieren. Was machen die beiden besser als die Konkurrenz?
Schmitt: Kubacki hat sich flugtechnisch enorm gesteigert und ein höheres Niveau erreicht. Außerdem gehört er zu den "Gewinnern" der neuen Messmethodik bei den Anzügen der Springer. Das schaut bei ihm nun viel besser aus als im vergangenen Jahr. Entweder er profitiert jetzt massiv oder er war zuvor im Hinblick auf den Anzug einfach schlecht aufgestellt. Es lässt sich festhalten: Das neue Reglement wirkt sich positiv aus für Kubacki.
Ist das auch bei Lanisek der Fall?
Schmitt: Bei Anze Lanisek sehe ich den Grund für die tollen Leistungen vor allem darin, dass er sich über die vergangenen Jahre Schritt für Schritt weiterentwickelt hat. Er zeigt eine moderne Flugposition, springt symmetrisch und kontrolliert die flach gestellten Ski sehr gut. Es passt alles hervorragend zusammen.
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Vierter Saisonsieg! Kubacki mit eindrucksvoller Tournee-Generalprobe

Das kann man von Ryoyu Kobayashi, Kamil Stoch und Peter Prevc nicht behaupten. Alle drei haben die Tournee schon gewonnen, hinken ihren Ansprüchen in diesem Winter aber weit hinterher. Glauben Sie, dass es dem Trio beim Auftakt in Oberstdorf möglich ist, quasi per Knopfdruck wieder in den Siegermodus zu schalten?
Schmitt: Schwierig. Da müsste in der Trainingswoche vor dem Tournee-Start sehr viel passieren, um von heute auf morgen auf dieses Niveau zu kommen. Stoch traue ich das am ehesten zu. Er hat sein technisches Problem noch nicht gelöst, muss seine Absprungbewegung verbessern beziehungsweise stabilisieren. In der Luft ist er im Moment zu passiv und verliert dadurch viele Meter. Kamil versucht aber nicht, seine Schwächen mit Gewalt abzustellen. Wenn er eine Lösung findet, kann es bei ihm sehr schnell auf ein anderes Niveau gehen, zumal sein Sprung generell funktioniert. Bei Kobayashi weiß man nie. Er ist etwas unbeschwerter und verfügt noch über das Selbstvertrauen, um zu sagen: 'Wenn das Großereignis anstehe, bin ich da!' Er braucht im Training oder den Probesprüngen allerdings ein Aha-Erlebnis. Prevc sehe ich dagegen weiter weg von alter Stärke als die anderen beiden.
Wer also gewinnt die Vierschanzentournee in diesem Winter?
Schmitt: Dawid Kubacki.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schmitt.
Tipp: Eurosport zeigt alle vier Tournee-Springen und alle Qualifikationen live im TV. Dazu bieten wir auf Eurosport.de einen ausführlichen Liveticker, Hintergrundgeschichten und exklusive Analysen von Martin Schmitt an.
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"Großer Schritt nach vorne": Geiger fliegt noch in die Top Ten

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