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ATP München - Mischa Zverev im exklusiven Interview bei den BMW Open: "Heute müssen alle aalglatt sein"

Pascal Steinmann

Update 22/04/2023 um 18:18 GMT+2 Uhr

Mischa Zverev ist als Botschafter der BMW Open auch Turnierdirektor der Para Trophy in München. Im exklusiven Interview mit Eurosport.de spricht er am Aumeisterweg über Ideen von Alfie Hewett, wie man das Rollstuhltennis vorantreiben kann. Der 35-Jährige offenbart zudem seine eigenen Karrierepläne - und bezieht nun Stellung zum verbalen Schlagabtausch zwischen Bruder Alexander und Daniil Medvedev.

Alexander Zverev (li.) und Mischa Zverev (re.)

Fotocredit: Getty Images

Mischa Zverev war einst Spieler bei den BMW Open, nun begleitet er das hochdekorierte ATP-Turnier in München als Botschafter und zeigt sich begeistert von den Fans in der bayrischen Landeshauptstadt. "Egal, wie das Wetter ist: Hierher kommen echte Tennisfans, die sich auch in Wolldecken auf die Tribüne setzen und die Spieler anfeuern", sagt der 35-Jährige im exklusiven Interview am Aumeisterweg.
Also Botschafter ist der Eurosport-Experte zeitgleich auch Turnierdirektor der Para Trophy für Rollstuhlspieler. Zverev verneigt sich vor der Leistung von Superstar Alfie Hewett und Co. "Der Sport ist deutlich komplizierter, anstrengender und die Menschen sind eigentlich viel besonderer", sagt die frühere Nummer 25 der Weltrangliste gegenüber Eurosport.de. Zverev wünscht sich mehr Anerkennung für die Athleten und nennt Ideen, um den Sport weiter voranzutreiben.
Bruder Alexander musste vor heimischen Publikum an der Isar derweil nach einem 6:7, 4:6 gegen Christopher O'Connell schon beim Auftakt die Segel streichen, nachdem er sich eine Woche zuvor in Monte-Carlo noch stark verbessert gezeigt und ein herausragendes Match gegen Daniil Medvedev (6:3, 5:7 und 6:7 (7:9)) gespielt hatte. Im Anschluss hatten sich die beiden Weltklassespieler einen verbalen Schlagabtausch in den Medien geliefert.
Ein Zoff, der "früher bei John McEnroe und Jimmy Connors" keine so hohen Wellen geschlagen hätte, wie Mischa Zverev nun auf dem Gelände des MTTC Iphitos findet: "Das war für mich kein Vulkan oder so."
Herr Zverev, Sie haben hier bei den BMW Open in München selbst gespielt, sind nun Botschafter. Was macht das Turnier in Ihren Augen besonders?
Zverev: Es ist ein unheimlich familiäres Turnier auf einer echten und gemütlichen Tennisanlage. Es ist schön, dass so viele Menschen unterstützen, die Mitglieder sind. Man gibt sich unheimlich viel Mühe. Der Players- und VIP-Bereich ist sehr gut, das Essen ist eines der besten auf der Tour. Zudem ist es das erste Turnier in Deutschland auf Sand und immer ein gutes Vorbereitungsturnier – es ist aus vielen Gründen schön und wichtig.
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Der Court 1 bei den BMW Open war am Montag gefüllt

Fotocredit: Getty Images

Und die Zuschauer am Aumeisterweg sorgen für eine tolle Atmosphäre...
Zverev: Egal, wie das Wetter ist: Hierher kommen echte Tennisfans, die sich auch in Wolldecken auf die Tribüne setzen und die Spieler anfeuern. Unabhängig davon, ob man aus München stammt oder nicht: Alle Deutschen werden unterstützt.
Heute müssen alle aalglatt sein.
Ihr Bruder Alexander Zverev hat vor Monte-Carlo erklärt, Sand sei ein Belag, auf dem er sich "natürlich" fühlt. Ist Sand sein bester Untergrund?
Zverev: Er kann sich auf Sand sehr schnell umstellen und braucht die wenigste Zeit, um sein bestes Tennis zu spielen. Es macht ihm nichts aus, wenn der Court etwas schneller oder langsamer ist. Bei anderen Belägen, auf Rasen oder schnellen Hartplätzen, braucht er etwas länger. Ich denke, dass er sich auf Sand am wohlsten fühlt, weil er da in der Jugend viel gespielt hat. Daher ist das etwas ganz Natürliches für ihn. Zudem ist er sehr lang, hat lange Arme, lange Beine und eine große Ausholbewegung. Da kommt es ihm entgegen, dass er auf Sand etwas mehr Zeit hat, sich sauber hinzustellen und seine eigenen Schläge richtig gut auszuführen.
Der verbale Schlagabtausch zwischen ihm und Daniil Medvedev im Fürstentum hat hohe Wellen geschlagen. Wie blicken Sie eine Woche später darauf zurück?
Zverev: So groß war der Schlagabtausch in meinen Augen nicht. Früher bei John McEnroe und Jimmy Connors hätte man darauf überhaupt nicht reagiert. In der heutigen Zeit, in der alle aalglatt sein müssen und niemand das sagt, was er denkt, ist das anders. Aber für mich war das kein Vulkan oder so.
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Medvedev kontert Zverev: "Schau in den Spiegel"

Wie haben sie die Situationen auf dem Court selbst erlebt?
Zverev: Das Regelwerk bietet sehr viele Grauzonen. Im ATP-Regelbuch steht zum Beispiel nicht, dass man den Netzpfosten nicht sanft und freundlich entfernen darf. Auf die Idee ist noch niemand vorher gekommen. Das ist auch keine Aggression, sondern eher ein Ablenkungsmanöver – natürlich mit dem Gedanken, den Gegner zu stören oder das Publikum zu amüsieren, und so eine Atmosphäre zu schaffen, um das Momentum zu drehen. Und das hat eben funktioniert. Natürlich sagt Sascha auch, dass er sich dadurch nicht ablenken lassen darf.
Diese Dinge sind für mich Kinderkram.
Sie haben in einem Interview betont, wie wichtig Ihnen schon immer Fairness auf dem Feld war.
Zverev: Früher in der Jugend hat man gesagt, man soll sich mal die Schuhe binden, ein Handtuch holen oder die Hand heben, um den Rhythmus des Aufschlägers zu brechen. Diese Dinge sind für mich Kinderkram.
Wie genau meinen Sie das?
Zverev: Die Zuschauer mögen das interessant finden und sagen, es kommt Entertainment oder Action ins Match. Aber als Profi möchte ich mir das Spiel anschauen. Ich finde Gefallen an schönen Schlägen, nicht wenn sich jemand vor dem Breakball 15 Mal die Schnürsenkel bindet, eine Medical Time Out nimmt oder das Publikum anfeuert. Das sind Dinge, auf die ich nicht achte und die ich nicht mache. Sascha ist da sehr ähnlich. Er will Tennis spielen und mit Tennis gewinnen.
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Daniil Medvedev bekam sich in Monte-Carlo mit Alexander Zverev in die Haare

Fotocredit: Getty Images

Sie haben davon gesprochen, dass heutzutage alle Spieler "aalglatt" sein müssen. Profitiert der Sport eventuell von solchen kleineren Reibereien?
Zverev: Für mich muss das nicht sein. Viele Menschen brauchen es, weil es wohl einfach interessant ist. Die sozialen Medien sind so aufgebaut, dass man sich Dinge, bei denen es Stress gibt, lieber ansieht als nette und schöne Sachen, die dort natürlich auch ihren Platz haben. Aber so sind wir Menschen eben, das ist Psychologie.
Apropos gewinnen: Wer ist für Sie der Topfavorit in der Sandplatzsaison – auch im Hinblick auf die French Open?
Zverev: Ich habe momentan keinen. Novak Djokovic wird sich steigern. Rafael Nadal ist ein Fragezeichen, da weiß man nie, was man erwarten kann. Carlos Alcaraz hat bisher noch nicht gespielt, kann aber sehr gut werden. Stefanos Tsitsipas kann sich auch verbessern. Der Finaleinzug von Holger Rune und der Turniersieg von Andrey Rublev in Monte-Carlo sind vielleicht ein kleines Statement, aber ich würde nicht behaupten, dass sie deswegen die beiden Favoriten sind. Da muss noch mehr passieren in den kommenden Wochen. Ich bin da erst mal vorsichtig und zurückhaltend.
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Mischa Zverev 2020 in Köln

Fotocredit: Getty Images

Sie selbst haben kürzlich auf der ITF Tour in Tunesien gespielt.
Zverev: Ja, genau (lacht).
Wie ist Ihre aktuelle Situation, warum sehen wir Sie hier denn in München nicht im Hauptfeld?
Zverev: Mein Ranking ist nicht gut genug. Ich muss schon etwas höher stehen, um hier mitzuspielen. Ich spiele zum Spaß, weil ich es liebe, Matches zu spielen. Im Training trete ich daheim gerne gegen viele Jugendliche an. Ich habe einfach Spaß an dem Sport. Klar ist es schöner und etwas besonders, hier vor heimischem Publikum aufzulaufen. Aber ich spiele auch sehr gerne woanders, weil es mir um das Tennis geht. Und ich spiele da, wo ich mit meinem Ranking spielen kann.
Das heißt, Sie haben nicht mehr zwangsläufig besonders hohe Ziele?
Zverev: Nein, es geht eher um Spaß. Man weiß im Tennis aber nie. Manchmal geht die Reise weit nach oben. Das Ziel eines Spielers ist es, immer zu gewinnen, wenn er auf dem Court steht. Aber man muss realistisch bleiben: Was ist möglich, was kann ich erreichen, habe ich die Zeit? Es geht hauptsächlich um die Freude und darum, gesund zu bleiben und möglichst lange zu spielen.
Hier in München sind Sie auch Turnierdirektor der Para Trophy, dem Turnier für die Rollstuhlfahrer. Wie wichtig und schön ist es, dass das am Aumeisterweg eine so hohe Bedeutung einnimmt?
Zverev: Durch die mediale Präsenz haben einige Sportarten einen höheren Stellenwert – und andere eben weniger. Das spiegelt sich dann auch im Preisgeld und den Sponsorenverträgen wider. Das bedeutet aber nicht, dass sie weniger besonders sind als andere tolle Tennisspieler, die nicht im Rollstuhl sitzen - oder Fußballspieler und so weiter. Aber der Sport ist deutlich komplizierter, anstrengender und die Menschen sind eigentlich viel besonderer.
Für Rollstuhlfahrer ist der Flug ein echtes Abenteuer.
Was meinen Sie konkret?
Zverev: Tennisspieler klagen häufig über die vielen Reisen. Aber bei einem Rollstuhlfahrer sind allein der Weg zum Flughafen und der Flug ein echtes Abenteuer mit dem Rollstuhl und dem ganzen Equipment. Dann spielst du ein Masters und bekommst dafür 5000 Euro. Das passt einfach nicht zusammen.
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Mischa Zverev begleitet die Para Trophy mit dem Weltranglistenersten Alfie Hewett als Turnierdirektor

Fotocredit: Getty Images

Wie können Sie die Para Trophy in Ihrer Rolle vorantreiben, damit der Sport den Rahmen erhält, den es verdient? Mit Alfie Hewett ist unter anderem der Weltranglistenerste am Start.
Zverev: Meine Aufgabe ist es, ein guter Botschafter und Turnierdirektor zu sein. Ich habe schon mit einigen Spieler sprechen können und habe versucht, Ideen zu sammeln: Was kann man tun, was kann man verbessern, was ist möglich? Ich bin allerdings nicht derjenige, der alles entscheiden oder verändern kann – auch wenn ich es möchte. Aber ich werde mich bemühen und die Dinge weitergeben.
Was sind Ansatzpunkte, die sich aus den Gesprächen ergeben haben?
Zverev: Eine tolle Idee von Alfie war es, während der großen Masters-Turniere wie in Indian Wells oder Miami in der zweiten Woche - in den letzten vier, fünf Tagen - ein Rollstuhlturnier zu veranstalten. Dort gibt es 20 Plätze, die alle leer stehen. Die Infrastruktur ist vorhanden. Die Spieler, die in der ersten Woche da waren, sind abgereist, die Hotelzimmer sind frei. Natürlich bräuchte man ein zusätzliches Budget und es bedeutet zusätzliche Arbeit. Das muss man wollen. Aber ich denke, wenn man möchte, kann man Sponsoren und Partner finden, die es unterstützen.
Vielen Dank, Herr Zverev.
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Zverev ernüchtert: "Komme hier sehr schwer mit dem Druck klar"

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