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Casper Ruud: Wie Norwegens Supertalent an seinem Tennis-Märchen schreibt

Tobias Laure

Update 07/10/2021 um 19:19 GMT+2 Uhr

Der Mann mit den meisten Saison-Titeln heißt Casper Ruud. Norwegens Supertalent begeistert die Szene, aus dem Nichts kam er aber nicht. Das Erfolgsgeheimnis? Vielschichtig. "Man muss versuchen, sich von ​​Unsinn fernzuhalten", gab Ruud bei Eurosport Einblicke in seine Herangehensweise. Zwei Ziele verfolgt der Youngster, bei dem sich Parallelen zu Erling Haaland aufdrängen, noch in diesem Jahr.

Casper Ruud ist überwältigt nach dem Turniersieg in Kitzbühel

Fotocredit: Imago

Man kann vom Snarøya Tennisclub direkt in ein Boot steigen und hinausfahren auf den schönen Oslofjord. Man kann sich aber auch beim Fußball austoben, die Plätze liegen keine 100 Meter von den Tennisanlagen entfernt. Einen Skatepark gibt es ebenfalls. Es ist ein Ort der Möglichkeiten, an dem Casper Ruud als Kind den Sport für sich entdeckte.
"Hier habe ich mit vier Jahren angefangen, Tennis zu spielen", blickt der heute 22-Jährige zurück auf die Anfänge. Auf eine Zeit, in der alles andere als vorhersehbar war, dass aus Ruud einmal der beste Tennisprofi in der Geschichte Norwegens werden sollte.
Nimmt man die Weltrangliste zum Maßstab, dann ist er das seit dem 17. Februar 2020.
Damals schaffte Ruud den Sprung von Platz 45 auf 34 im Ranking - und überflügelte damit seinen Vater Christian, der 1995 bis auf Position 39 geklettert war und seinen Sohn heute trainiert. "Er ist viel besser als ich es war", erzählte der Herr Papa vor ein paar Wochen in einem ATP-Interview. "Ich bin total stolz, dass er seine Sache in diesem Sommer so gut gemacht hat."

Ruud feiert den "perfekten Sommer"

Damit ist der unglaubliche Erfolgslauf des Sohnemanns in den vergangenen Monaten gemeint. Zwischen Mitte Mai und Ende Juli gewann der Junior in Genf, Bastad, Gstaad und Kitzbühel vier Turniere auf der Tour. "Der Sommer ist perfekt gelaufen", erklärte Casper Ruud im Exklusiv-Interview mit Eurosport Norwegen. "Das wird er für den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen", unterstrich auch der Vater.
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Nächster Titel für Ruud: So triumphierte Norwegens Supertalent

Doch es kam noch besser: Anfang Oktober ließ Casper beim ATP-Event von San Diego den fünften Titel in diesem Jahr folgen. Das sind mehr als Novak Djokovic, Daniil Medvedev und jeder andere Profi in diesem Jahr eingefahren haben.
"Es ist spaßig, das so zu sagen, aber Daniil und Novak haben größere Turniere gewonnen. Ich würde gerne mit ihnen tauschen, wenn ich die Möglichkeit hätte, meine fünf 250er-Titel gegen die drei Grand Slams und den einen 250er von Novak einzutauschen", scherzte Ruud nach dem Triumph von San Diego. Kurz zuvor hatte er mit den beiden Ausnahmespielern noch Seite an Seite beim Laver Cup gespielt und Europa beim 14:1-Erfolg im ersten Match in Führung gebracht.
Sein bestes Major-Resultat fuhr Ruud im Februar ein, als er bei den Australian Open bis ins Achtelfinale vorstieß. Der Shootingstar gab aber zu, dass es ihn schon freuen würde, "wenn ich das Jahr mit den meisten Titeln beenden würde. Da will ich nicht lügen."

"Durch Ruuds Erfolge hat sich viel getan"

Eines hat Ruud aber schon jetzt erreicht: Sein Sport ist im Kommen in der Heimat - und das ist alles andere als logisch.
"Tennis ist derzeit die Sportart Nummer zehn in Norwegen und hat noch einen langen Weg vor sich, um generell die Gesellschaft zu erreichen", erklärt der norwegische Tennis-Experte und Eurosport-TV-Kommentator Christer Francke.
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Casper Ruud gewinnt den Titel in San Diego

Fotocredit: Getty Images

"Durch Caspers Erfolge hat sich schon viel getan, aber die wenigen Plätze und der damit erschwerte Zugang zum Tennis sind ein massives Problem", so der 52-Jährige. Die Schlagzeilen werden traditionell vom Wintersport, Fußball, Handball oder seit Kurzem von der Leichtathletik dominiert. Tennis muss sich (noch) hinten anstellen.

ATP Finals in Reichweite

Die Serie an Erfolgen von Ruud hat indes auf die Weltrangliste durchgeschlagen. Der 22-Jährige ist inzwischen an Position zehn notiert und darüber hinaus der aktuell jüngste Top-Ten-Spieler. Schon wird über den nächsten Streich spekuliert. Ruud schaffte 2019 den Sprung zu den Next Gen ATP Finals, dem Saisonfinale der acht besten Youngster.
In diesem Jahr peilt er die Teilnahme an den ATP Finals an. Im sogenannten Singles Race, das über die Qualifikation entscheidet, belegt er derzeit sogar Platz acht und wäre damit für Turin qualifiziert.
"Darauf ist er fokussiert", bestätigte Vater Christian. "Das Ziel ist es, Turin zu erreichen und das Jahr in den Top Ten abzuschließen." Ambitioniert, aber realistisch.

Wie erklären sich Ruuds Erfolge?

Dennoch stellt sich die Frage, was den mutigen Skandinavier so stark macht, woher die Leistungsexplosion kommt? Wobei der Begriff Explosion trotz der fünf Titel nicht so recht passt, Ruud schoss keineswegs aus dem Nichts in die Weltspitze.
"Er hat immer kleine Schritte gemacht, hat sich dafür aber im Ranking kontinuierlich in dieselbe Richtung, nach oben, bewegt. Ich bin selbst überrascht, dass es nicht viele Rückschläge gab", so Christian Ruud. "Casper will dauerhaft da oben bleiben und ich staune, wie wohl er sich in seiner Rolle fühlt."
Die Statistik zeigt: Der Vater und Coach hat recht. Von 2016 bis 2020 verbesserte Ruud sein Jahresend-Ranking von Platz 225 über 139, 112 auf 54 und 27. Der Aufwärtstrend wird auch in dieser Saison anhalten. Es kann der Entwicklung des Toptalents nur guttun, dass es seit Jahren stetig, aber nicht im Eiltempo, vorangeht. Mit Sicherheit ein Schlüsselfaktor, weshalb Ruud im Moment der Mann der Stunde auf der Tour ist.

McEnroe spricht schon vom French-Open-Titel

Ebenso entscheidend ist das Team. Familie und Freundin Maria Galligani sind bei den Turnieren meist dabei. "Ich kann den Ball auch schlagen, ohne dass sie dabei sind", bekräftigte Ruud im Gespräch mit Eurosport, aber so habe er "mehr Ruhe" und fühle sich "ein bisschen mehr zu Hause. Wir sind in diesem Sinne ein kleines Team und vieles basiert auf der Familie und den engsten Menschen in meinem Leben."
Selbstredend war für dafür auch eine spielerische Verbesserung nötig. "Casper ist gereift, versteht das Spiel besser. Er hat seine Vorhand weiterentwickelt und gewinnt aus diesem Grund Matches. Das gilt so auch für die Rückhand und den Aufschlag", analysierte der Vater. Das Gesamtpaket werde "von Jahr zu Jahr ein bisschen besser".
Da ist sie wieder, diese gemächliche, aber permanente Verbesserung - die hoffen lässt, dass es Ruud nicht wie so vielen anderen Talenten ergeht, die kometenhaft emporsteigen, um nur wenig später wieder in der Versenkung zu verschwinden.
Deshalb ist es auch mit Vorsicht zu genießen, wenn Experten wie Patrick McEnroe schon jetzt von Grand-Slam-Erfolgen sprechen. "Bis 2024 wird Casper Ruud einen French-Open-Titel haben", twitterte der Ex-Profi. Gut gemeint, aber Ruud tut sich keinen Gefallen, wenn er dem allzu viel Bedeutung beimisst.
McEnroe hat indes nicht zufällig die French Open ausgewählt, denn auf Sand hat Ruud bislang mit Abstand die stärksten Resultate erzielt. Den Premieren-Titel - 2020 in Buenos Aires - holte der Norweger ebenso auf dem roten Belag wie die ersten vier in der laufenden Spielzeit. Mit dem Hartplatz-Coup von San Diego hat Ruud nun bewiesen, dass nicht nur auf Sand mit ihm zu rechnen ist.

Ruud: Das beeindruckt mich bei Federer und Nadal

Doch auch wenn es zwangsläufig irgendwann Rückschläge geben wird, die Contenance wird Ruud kaum verlieren.
Das liegt nicht zuletzt an den Spielern, an denen sich der Newcomer orientiert. "Es gibt etwas, das mich bei Roger Federer und Rafael Nadal immer beeindruckt hat. Sie zeigen nie Frust und nehmen Niederlagen gut auf - und nicht zuletzt auch die Siege", so der Weltranglisten-Zehnte. Er selbst versuche immer "so nett wie möglich zu sein und mich auf dem Platz zu benehmen".
Es liege nicht in seiner Natur, betonte Ruud bei Eurosport, "einen Schläger zu zerhacken oder den Schiedsrichter anzuschreien". Darauf zu verzichten, spare Energie. "Und wenn ich im Tennis eines gelernt habe, dann, dass die kleinen Dinge entscheiden. Daher muss man versuchen, sich von solchem ​​Unsinn fernzuhalten."

Ruud in einem Atemzug mit Haaland

Charakter, Auftreten und Erfolg haben dazu geführt, dass Ruud schon jetzt einer von Norwegens beliebtesten Sportlern ist.
"Zusammen mit Fußballer Erling Braut Haaland oder den Leichtathletik-Olympiasiegern Karsten Warholm und Jakob Ingebrigtsen hat er im Moment sicher den größten sportlichen Einfluss im Land", glaubt Tennis-Experte Francke. Mit Haaland verbinde ihn "die Furchtlosigkeit und die Siegermentalität, auch und gerade in engen Duellen".
Auf der Tour geht es für Ruud in den kommenden Tagen beim ATP Masters von Indian Wells weiter. Als Nummer sechs der Setzliste steigt der Rechtshänder erst in der 2. Runde ins Turnier ein. Die Auftaktpartie wird das 60. Match, das er in diesem Jahr bestreitet. Ein enormes Pensum, Djokovic und Medvedev stehen aktuell bei 50 beziehungsweise 58 Spielen.
Ruud wird sich daran gewöhnen, die Karriere nimmt gerade erst Fahrt auf - und für Bootstouren auf dem Oslofjord ist ja auch nach der Laufbahn noch genug Zeit ...
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