Jannik Sinner und Co. sorgen für Tennis-Boom: Warum ist Italien so stark? Deutschland kann sich Scheibe abschneiden

Mit Jannik Sinner hat Italien den neben Carlos Alcaraz vielversprechendsten Spieler für die kommenden Jahre hervorgebracht. Nach dem 23-Jährigen aus Südtirol herrscht im Gegensatz zu anderen Ländern - wie zum Beispiel Deutschland - aber keineswegs Ebbe. Vielmehr erlebte das Tennis im sportbegeisterten Stiefelstaat einen beispiellosen Aufschwung, der keineswegs nur eine Momentaufnahme ist.

Sinners Top 5: Eiskalte Rückhand-Peitsche und ein Traum-Lob

Quelle: Eurosport

Die azurblaue Ausbeute der jüngsten zwölf Monate - sie hat es in sich.
Davis Cup, Billie Jean King Cup, ATP Finals, Australian Open (Herren Einzel/Mixed), US Open (Herren Einzel), French Open (Damen Doppel/Mixed) und olympische Medaillen in Gold (Doppel Damen) und Bronze (Herren Einzel). Errungenschaften, die an Prestige kaum zu übertreffen sind. Errungenschaften, die allesamt italienische Züge tragen.
Mit Jannik Sinner kommt das heißeste Eisen auf der ATP-Tour neben Carlos Alcaraz aus dem Stiefelstaat, seit exakt einem Jahr scheint in der Weltrangliste neben seinem Namen die Nummer eins auf.
Der Erfolg des 23-Jährigen und den italienischen Himmelsstürmern kommt aber nicht von ungefähr. Vielmehr steckt dahinter ein durchdachtes System, dem mittlerweile die gesamte Tennis-Welt hinterher hechelt. Und von dem sich auch Deutschland eine Scheibe abschneiden könnte.

Sinner, Musetti, Berrettini: Tennis strahlt Grün-Weiss-Rot

Ein Blick auf die Top 100 der Weltrangliste verdeutlicht die aktuellen Verhältnisse. Sinner (1.) und Lorenzo Musetti (6.) bilden die vorderste Front, dahinter folgen Flavio Cobolli (25.), Matteo Berrettini (28.), Matteo Arnaldi (41.), Lorenzo Sonego (45.), Luciano Darderi (48.), Mattia Bellucci (72.) und Luca Nardi (98.). Bei den Damen mischt Jasmine Paolini (4.) ganz vorne mit.
Zum Vergleich: Deutschland wird in den Top 100 nur von Alexander Zverev (3.) und Daniel Altmaier (51.) vertreten. Ein Bild, das weit mehr als nur eine Momentaufnahme ist.
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"Eins der krassesten Matches!" Sinner breakt in Satz fünf zum 5:5

Quelle: Eurosport

Vor 15 Jahren tummelte sich kein einziger Italiener in den Top 50, gar nur drei schafften den Sprung unter die 100 besten Spieler der Welt. Dann stieß die Federazione Italiana Tennis e Padel (FITP) einen goldenen Umbruch an.
"Alles geschieht schneller, als wir es uns hätten vorstellen können", erklärte Angelo Binaghi, der italienische Verbandspräsident, unlängst in einem Interview mit "Reuters". "Länder, die in der Vergangenheit viel weiter entwickelt waren als wir, wie Frankreich, sind mehrmals hierhergekommen, um zu studieren, was wir tun."
Im Fokus stehen dabei vor allem zwei Reformen.

Weniger Kontrolle, mehr Geld - und mehr Harmonie

Am Anfang stand eine Dezentralisierung. Viel zu lange war stur daran festgehalten worden, vielversprechende Talente - zumeist jünger als 16 Jahre - in große nationale Trainingszentren zu schicken und dort ungeachtet ihres bisherigen Werdeganges in ein immergleiches Korsett zu stecken.
Stattdessen werden die heranwachsenden Athleten nun auch nach ihrer Entdeckung weiterhin von ihren eigenen Trainern zu Hause trainiert und von einem Netzwerk an Tenniszentren im ganzen Land unterstützt. In dem Umfeld florieren, wo die Samen gesät wurden, so lautet die Devise.
Die privaten Trainer werden wiederum von sogenannten Super Coaches - wie zum Beispiel Riccardo Piatti oder Renato Vavassori - beraten und im Rahmen von Fortbildungen über neue Methoden auf dem Laufenden gehalten.
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Fairplay auf Messers Schneide: Sinner gibt Alcaraz-Ball gut

Quelle: Eurosport

Darüber hinaus rückte der Verband auch die Finanzierung in den Fokus. Die Investitionen in den technischen Bereich stiegen 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent, 2017 um 5 Prozent gegenüber 2016 und 2018 nochmals um 4 Prozent zum Jahr zuvor.
Diese enge Zusammenarbeit, das Eingehen auf die individuellen Bedürfnisse und Stärken der Talente sorgte für einen nachhaltigen Kulturwandel. Ob ein Spieler mit dem Verband oder mit einem privaten Trainer arbeitet, es läuft auf dasselbe hinaus. Jeder geht seinen eigenen Weg - und alle haben Erfolg.

Kinder träumen: Messi? LeBron? Sinner!

Manchmal sorgt ein Erfolg auf internationaler Bühne für einen Boom sondergleichen. So auch in Italien.
Im Februar 2024 - drei Monate nach dem Davis-Cup-Triumph der italienischen Herren und der Final-Niederlage von Sinner bei den ATP Finals in Turin - verzeichneten die heimischen Vereine bei den Einschreibungen nämlich einen Anstieg von 20 Prozent.
Mittlerweile sind über eine Million Sportler in Vereinen registriert, hinter Fußball ist Tennis zum beliebtesten Sport in Italien aufgestiegen. Dieser Boom hängt auch mit einem Kniff im Bildungswesen zusammen.
Seit 2013 wird das Projekt "Racchette in classe" ("Schläger in der Klasse") verfolgt, um Kindern sowohl Tennis als auch andere Schlägersportarten näherzubringen.
Die Zeiten, in denen auf dem Schulhof nur Ikonen wie Lionel Messi und LeBron James nachgeeifert wird, sind vorbei. Nun stehen auch Sinner, Musetti und Paolini ganz hoch im Kurs.
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Jannik Sinner bei den French Open

Fotocredit: Getty Images

Infrastruktur als Schlüssel zum Erfolg

Sollte sich ein Jugendlicher dafür entscheiden, den Pfad eines Tennis-Spielers zu beschreiten, findet er eine hervorragende Infrastruktur vor.
Jahrelang war der Sandplatz in Italien das absolute Heiligtum, im Jahre 2009 wurde das "Fast-Court Project" angepackt: Wenn Italien die Superstars der Zukunft hervorbringen will, dann müssen - angesichts der Vielzahl an Turnieren auf jenem Belag - unbedingt mehr Hartplätze hier.
Damals waren etwa 90 Prozente der Plätze auf italienischem Boden mit rotem Sand belegt, mittlerweile gibt es 3000 Hartplätze und damit etwa viermal so viele wie noch vor sechzehn Jahren.
Davon profitiert auch die Vielseitigkeit im Spiel der Athleten.

Wettbewerb auf jedem Niveau

Darüber hinaus spielt dem Nachwuchs die vielfältige Wettbewerbsstruktur in Italien in die Karten.
Inzwischen ist Italien nämlich das Land, welches die meisten Challenger-Turniere austrägt. Das sind jene Wettbewerbe unterhalb der ATP-Tour, die jungen Spielern ermöglichen, Erfahrungen zu sammeln. Immer mehr dieser Talente erhalten Wildcards, die als Beschleuniger in der Entwicklung dienen.
So sammeln Spieler, die sich sonst nicht für das Turnier qualifiziert hätten, Erfahrung auf höherem Niveau. Die Austragung zahlreicher solcher Turniere im eigenen Land birgt einen weiteren Vorteil.
"Bei diesen Turnieren, selbst wenn man sie gewinnt, verliert man Geld, weil man ins Ausland reist", meinte Eurosport-Experte Jim Courier zu diesem Vorgehen. "Sie bekommen also finanzielle Unterstützung und haben einfach gute Bedingungen in Italien, die den Sportlerinnen und Sportlern die Möglichkeit bietet, ein Niveau zu erreichen, das wir so noch nicht gesehen haben."
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Sinner gewinnt 20-Shot-Rally gegen Djokovic

Quelle: Eurosport

Der viermalige Grand-Slam-Sieger ist vom italienischen Fleiß angetan. "Die Italiener sind im Moment das Maß aller Dinge im Tennis und bei der Entwicklung von Spielerinnen und Spielern. Das hat zur Folge, dass viele andere aufholen müssen", unterstrich er.
Von heute auf morgen geschieht ein solcher Aufstieg jedenfalls nicht, von der Nachhaltigkeit profitiert das Land jedoch allemal.
Warum? Von den neun besten Italienern auf der ATP-Tour sind sieben Spieler 24 Jahre oder jünger - und Berrettini und Sonego mit 29 respektive 30 Jahren die "Oldies". Und an Nachschub wird es der neuen Tennis-Macht nicht mangeln.
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Top 5: Krake Moutet stellt selbst Rune in den Schatten

Quelle: Eurosport


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