US Open: Carlos Alcaraz stellt die Tenniswelt auf den Kopf - warum der Teenager eine neue Ära ausgerufen hat
VonTobias Laure
Update 12/09/2022 um 13:06 GMT+2 Uhr
Carlos Alcaraz ist mit 19 Jahren Grand-Slam-Champion und Weltranglistenerster. Ein historischer Doppelschlag, der die Tenniswelt auf den Kopf gestellt hat. Die Big 3 um Rafael Nadal, Novak Djokovic und Roger Federer haben noch nicht abgedankt, trotzdem hat eine neue Ära begonnen - ausgerufen von einem Teenager. Und: Alcaraz kann den Moment genau benennen, an dem er begonnen hat, daran zu glauben.
Am 3. April hat es klick gemacht bei Carlos Alcaraz.
"Nachdem ich damals in Miami gewonnen habe, war mir klar: Ich kann irgendwann eine Grand-Slam-Trophäe in Händen halten. Davor habe ich geglaubt, mich erst noch verbessern zu müssen. Gute Ergebnisse bei einem Grand Slam habe ich mir zugetraut, aber nicht den Titel", erzählte der frischgebackene US-Open-Champion auf der Pressekonferenz in New York.
Kurios: Sowohl im Finale des ATP Masters von Miami als auch im Endspiel von Flushing Meadows hieß der Gegner Casper Ruud, der sich nun im Arthur-Ashe-Stadium in vier Sätzen geschlagen geben musste.
Nun ist eine neue Ära im Tennis angebrochen, so viel darf man schon sagen. Es hat sich alles verändert.
Eine so junge Nummer eins gab nie zuvor auf der ATP Tour - und noch etwas hat Alcaraz geschafft: Er hat sich von den vielen Vergleichen mit Rafael Nadal nicht den Kopf verdrehen lassen. "Mit ihm verglichen zu werden, ist in gewisser Weise gut, aber es stimmt auch, dass es einem Steine in den Rucksack legt", gab der Teenager Ende April in der TV-Show "El Hormiguero" zu.
Alcaraz - fast 24 Stunden Spielzeit bis zum Titel
Er versuche, "all die Steine wegzuwerfen, die sie mir in den Rucksack gelegt haben", sagte Alcaraz damals. Niemand aber hatte damit gerechnet, dass ihm das so schnell gelingen würde. Die US Open 2022 waren erst das achte Grand-Slam-Turnier, in dem der Spanier überhaupt im Hauptfeld stand.
Noch beeindruckender ist der Weg, den Alcaraz im Lauf des Wettbewerbs hingelegt hat. 23 Stunden und 39 Minuten stand das Supertalent in den sieben Partien auf dem Platz - länger, als jeder andere Spieler bislang beim Gewinn eines Major-Events. Brutal die zweite Turnierwoche: Vom Achtelfinale bis zum Titel absolvierte Alcaraz drei Fünfsatzbegegnungen und das Endspiel über vier Sätze. Im Viertelfinale gegen Jannik Sinner musste er gar einen Matchball des Italieners abwehren.
Wie er diese Reise in einem Wort beschreiben würde, sollte Alcaraz auf der Pressekonferenz sagen. Die einfache Antwort: "Glücklich!" Er sei schlichtweg "glücklich auf dem Platz gewesen". Das habe ihn durchs Turnier getragen. "In den Finalrunden eines Grand Slams ist keine Zeit, um müde zu sein."
Ein typischer Alcaraz-Satz.
Zverev lobt: Alcaraz bemüht keine Ausreden
Der neue Branchenprimus nimmt auch Schwierigkeiten klaglos an. "Carlos hätte Ausreden gehabt. Die vielen langen Matches, die späten Ansetzungen seiner Partien - und dennoch hat er das nie thematisiert, nicht auf den Presserunden und auch nicht auf seinen Social-Kanälen", lobte Eurosport-Experte Mischa Zverev.
In der Heimat wurde Alcaraz indes von der Zeitung "Mundo Deportivo" zum "König Carlos" ausgerufen, die anderen Sportzeitungen des Landes fanden ähnliche Formulierungen ob der unglaublichen Leistungen und des sympathischen Auftretens des Youngsters. "Junge, was hast du für ein Durcheinander angerichtet", titelte etwa die "Marca" im Rausch des Triumphs.
- Lesetipp: Die Pressestimmen zum Alcaraz-Coup
Natürlich war Alcaraz im Endspiel anzumerken, dass er schon viele Stunden Tennis auf höchstem Niveau in den Beinen hatte. Im zweiten Satz schlichen sich Fehler ein, der Aufschlag kam phasenweise nicht gut, auch zu Beginn des dritten brachte er sich nach der schnellen 2:0-Führung wieder in Schwierigkeiten. Völlig normal.
Bemerkenswert aber - und das galt in der gesamte zweiten Woche - war die Reaktion. "Ich bin wieder ruhiger geworden, habe meine Nerven beruhigt und wieder besser gespielt", erklärte Alcaraz im Exklusiv-Interview mit Eurosport.
Coach Ferrero - das Ass im Ärmel von Alcaraz
Und: Er suchte den Austausch, verbal wie nonverbal, mit Coach Juan Carlo Ferrero.
"Er vertraut ihm komplett, was Juan Carlos sagt, macht er", beschreibt Insider und Ex-Profi Àlex Corretja bei Eurosport das innige Verhältnis zwischen Spieler und Trainer. Ein Schlüsselfaktor. "Ferrero hat massiven Anteil am Titelgewinn", glaubt auch der siebenmalige Grand-Slam-Turniersieger Mats Wilander.
Tatsächlich fällt auf, dass man die Aussagen von Alcaraz und Ferrero im Hinblick auf Einstellung und Planung nahezu eins zu eins übereinanderlegen kann. "Wir beide wissen, dass wir weiter arbeiten müssen", sagte der Coach nach dem Coup von Flushing Meadows. "Ich werde nach diesen zwei Wochen wieder hart arbeiten, um weiter solche Dinge zu erleben", ließ der Spieler wissen.
Ferrero über Alcaraz: "Sehe ihn erst bei 60 Prozent"
Das Duo wird an den wenigen Schwächen arbeiten, die das Spiel des neuen Weltranglistenersten noch hat. Der Aufschlag ist so eine Baustelle. Mitunter fehlt es Alcaraz dabei an Präzision, er könnte sich noch weit mehr freie Punkte holen, wenn er am Service arbeitet. Die speziellen Anforderungen eines Tiebreaks dürften ebenfalls Thema sein. Vier von fünf Tiebreaks im Turnierverlauf verlor der Spanier - ausgerechnet den einzigen im Endspiel gegen Ruud aber entschied er für sich.
"Ich sage ihm, dass ich ihn erst bei 60 Prozent sehe. Er kann eine Menge Dinge verbessern", betonte Ferrero. Seit etwa drei Jahren arbeitet der French-Open-Sieger von 2003 mit Alcaraz zusammen, führte ihn vergangene Saison in die Top 100 der Welt und zum ersten ATP-Titel in Umag. In diesem Jahr erhöhte das Erfolgsgespann die Schlagzahl: erster Masters-Triumph in Miami, erster Grand-Slam-Erfolg, Sprung auf Platz eins im ATP-Ranking.
Man weiß natürlich nicht genau, wie es in Alcaraz jetzt aussieht, aber ziemlich sicher war das US-Open-Finale wieder so ein Moment, in dem es Klick gemacht - und man darf sehr gespannt sein, wozu das in den kommenden Jahren führen wird ...
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