Michael Rösch exklusiv zum Fall Julia Simon: "Sie muss den Teamkolleginnen zeigen, dass sie dieses Thema angeht"

Der Fall Julia Simon hat mit dem Geständnis vor Gericht eine unerwartete Wende genommen. Das Urteil steht, die sportliche Zukunft der Top-Biathletin bleibt offen. "Der einzige Weg aus meiner Sicht: Julia muss sich dem stellen, die Tat gegenüber dem Team offen einräumen und den Kolleginnen zeigen, dass sie das Thema angeht, damit sich so etwas nicht wiederholt", sagt Michael Rösch bei Eurosport.de.

Simon trotz Fehler mit Gold im Einzel - Preuß schießt sich raus

Quelle: Eurosport

Die Geschichte um Julia Simon ist um ein spektakuläres Kapitel erweitert worden, nachdem die Französin vor einem Gericht in Albertville einräumte, die Kreditkarte ihrer Teamkollegin Justine Braisaz-Bouchet unerlaubt für eigene Bestellungen genutzt zu haben. Die Tat soll sich bereits im August 2022 im Rahmen eines Trainingslagers in Norwegen ereignet haben. Das Gericht verurteilte Simon nun zu drei Monaten auf Bewährung sowie einer Geldstrafe von 15.000 Euro.
Eine Entwicklung, die so nicht absehbar war. "Ich habe nach dem Gerichtsurteil Feedback von einigen aus dem französischen Team erhalten - und ohne ins Detail zu gehen, kann ich sagen, dass es für alle überraschend kam, dass Julia die Angelegenheit vor Gericht zugegeben hat. Sie hatte die Vorwürfe zuvor ja über Jahre abgestritten", erklärt 2006-Olympiasieger Michael Rösch im Exklusiv-Interview mit Eurosport.de.
Er habe den "Eindruck, dass die Männer-Mannschaft mit dem Thema eher sachlich umgeht, während es auf die französische Frauen-Auswahl mehr Einfluss hat. Da habe ich doch unterschiedliche Reaktionen erhalten, und natürlich war auch Enttäuschung dabei", berichtet der 42-Jährige, der seine Profikarriere im Januar 2019 beendete und inzwischen als TV-Experte für Eurosport arbeitet.
Simon ist trotz der schwierigen Situation und der Vorwürfe, die seit Sommer 2023 öffentlich bekannt sind, bis heute Mitglied des Nationalteams - mit Erfolg. Bei den Weltmeisterschaften im Februar in Lenzerheide etwa holte Simon vier Goldmedaillen, drei davon (Single Mixed, Mixed, Staffel) an der Seite ihrer Kolleginnen. In der siegreichen Staffel übernahm sie als Schlussläuferin sogar direkt von Braisaz-Bouchet.

Rösch lobt Simon: "finde es sehr beeindruckend, wie ..."

Daran sehe man, "was für eine tolle und im Kopf starke Athletin Simon ist. Das finde ich krass. Der Druck war und ist extrem groß, alle Medien sprechen sie auf dieses Thema an - und das bereits seit gut zwei Jahren. Ich finde es sehr beeindruckend, wie sie sich ob dieser Umstände im Wettkampf behauptet", hebt Rösch die Leistungen der zehnmaligen Weltmeisterin aus Albertville hervor.
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Julia Simon hat ihre Schuld vor einem Gericht in Albertville eingeräumt

Fotocredit: Getty Images

Es habe ihn "damals aus den Latschen gehauen, als ich gehört habe, was da im Raum steht zwischen ihr und Justine Braisaz-Bouchet. Nach den Rennen hat man gesehen, dass der Handshake zwischen beiden unterkühlt ablief. Aber: Während der Saison wurde es immer besser. Sie haben sich auch mal umarmt, Julia war auf den Fotos wieder dabei, was eine Zeit lang nicht der Fall war. Das Team, so mein Eindruck, ist zusammengerückt", erinnert sich Rösch. Nun habe man durch das Geständnis eine komplett neue Situation.
"Es ist auf jeden Fall gut und wichtig, dass sie ihren Fehler vor Gericht nun eingeräumt hat. Spät, aber immerhin. Im Idealfall sagt der Verband am Ende: 'Ok, wir geben dir eine zweite Chance.' Wie die anderen Sportler und Sportlerinnen dann reagieren, ist schwer einzuschätzen", glaubt Rösch, der aus eigener Erfahrung weiß, wie gut eine Mannschaft austariert sein muss, um dauerhaft Erfolg zu haben.

Rösch blickt auf eigene Karriere: "Reinigendes Gewitter hilft"

"Ich bin ein Typ, der es mag, wenn es im Team Zusammenhalt und Harmonie gibt. Aber: Ich bin auch der Auffassung, dass von Zeit zu Zeit ein reinigendes Gewitter hilft und wichtig ist. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn kontroverse Themen in der Mannschaft unausgesprochen bleiben und so dahinwabern."
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Michael Rösch (2.v.l.) mit der deutschen Olympia-Gold-Staffel von 2006

Fotocredit: Getty Images

"Dann", unterstreicht der Ex-Biathlet, "bauscht sich da was über Monate und Jahre auf - bis es irgendwann eskaliert. Ich habe solche Themen während meiner Karriere angesprochen, auch wenn es in dem Moment unangenehm war. Die meisten meine Teamkollegen haben das ebenso gehalten." Rösch bildete 2006 zusammen mit Ricco Groß, Sven Fischer und Michael Greis die deutsche Olympia-Staffel, die Gold holte.

Simon-Entscheidung fällt am 6. November

Ein Coup, den auch die Französinnen im Februar 2026 bei den Olympischen Winterspielen in Mailand und Cortina d'Ampezzo anpeilen. Die Frage ist nur: mit oder ohne Simon? "Am 6. November will der französische Verband eine Entscheidung treffen. Darf sie erst später in die Saison starten, wird sie gar aus dem Team genommen? All das muss nun geklärt werden. Sicher scheint nur: Es wird eine Art Sanktion geben, geben müssen", sagt Rösch.
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Eine Demonstration: Simon krallt sich den 15. Weltcupsieg

Quelle: Eurosport

Die sportlichen Meriten der 29-Jährigen stehen außer Frage. "Julia hat in den vergangenen drei Jahren die meisten WM-Medaillen aller Biathletinnen geholt. Kannst oder willst du so eine Athletin komplett rausnehmen? Eher nicht", erinnert der Eurosport-Experte an die neun Gold- und drei Bronzemedaillen, die Simon bei den Weltmeisterschaften in Oberhof (2023), Nove Mesto (2024) und Lenzerheide (2025) einheimste.

Rösch: "Wird wohl auf faulen Kompromiss hinauslaufen"

"Es wird wohl oder übel auf einen faulen Kompromiss hinauslaufen, über den der Verband befinden muss", betont Rösch. "Das Bild von Simon ist für mich aus sportlicher Sicht noch intakt. Wenn jemand aktiv betrügt und zum Beispiel dopt, um seine Leistung zu steigern, ist das eine andere Geschichte. Mit dem, was sie getan hat, hat sie sich aber keinen Vorteil im Wettkampf verschafft. Das war nicht schön, hat allerdings keinen direkten Bezug zu ihren Leistungen als Biathletin."
Der Olympiasieger plädiert daher dafür, den Fall Simon nicht zur Endlosgeschichte auszudehnen - weder intern noch medial: "Wenn alles aufgearbeitet und abgeschlossen ist, sollte man einen Deckel draufmachen!"
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Jeanmonnot exklusiv: "Das hätte den Leuten das Herz gebrochen"

Quelle: Eurosport


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