Tadej Pogacar in einer Liga für sich: Das sind die Gründe für die Dominanz des neuen "Kannibalen" von UAE Team Emirates

Tadej Pogacar zeigte auch zum Saisonabschluss bei der Lombardei-Rundfahrt, dass er in diesem Radsportjahr eine so fast nie gesehene Dominanz an den Tag legen konnte. Die Gründe für seine Unantastbarkeit sind vielfältig: Sein UAE Team Emirates war die stärkste Mannschaft der Saison, seine Leistungswerte lagen noch einmal eine ganze Stufe über jenen der Konkurrenz. Eine Analyse.

Vierter Lombardei-Triumph in Serie: Pogacar schreibt Geschichte

Quelle: Eurosport

48,5 Kilometer vor dem Ziel war das Rennen vorbei. Als Tadej Pogacar an der Colma di Sormano antrat, wussten die Fans, Experten und die Kontrahenten, dass dies die entscheidende Attacke des Tages war.
Am Ende gewann er die Lombardei-Rundfahrt mit 3:16 Minuten Vorsprung auf Remco Evenepoel - und mehr als 4:30 Minuten gegenüber allen anderen Kontrahenten. Auch auf den Flachstücken zwischen den Anstiegen baute er seinen Vorsprung auf den Weltmeister und Olympiasieger im Zeitfahren kontinuierlich aus. Der Belgier sprach im Ziel davon, das "Maximum" erreicht zu haben - Pogacar schwebte in eigenen Sphären.
Seine Saison begann mit einem 80-Kilometer-Solo bei Strade Bianche, er gewann vier Etappen und die Gesamtwertung der Katalonien-Rundfahrt, Lüttich-Bastogne-Lüttich nach einer Alleinfahrt über 34 Kilometer. Im Anschluss holte sechs Etappen und die Gesamtwertung beim Giro d'Italia und wiederholte dieses Kunststück bei der Tour de France. Die WM dominierte er nach einem 100-Kilometer-Solo und die Lombardei-Rundfahrt nach einer Attacke 48 Kilometer vor dem Ziel.
Diese Dominanz gab es seit den Zeiten von Eddy Merckx auf diese Weise nicht mehr - und wurde von nicht wenigen als unmöglich im modernen Radsport angesehen. Natürlich ist Pogacar ein Jahrhundert-Talent, aber die Gründe für seine einsamen Kreise an der Spitze gehen tiefer.
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Tadej Pogacar dominierte diese Saison fast nach Belieben

Fotocredit: Getty Images

Team UAE ähnlich dominant wie Pogacar

Ein Grund ist sein Team UAE Emirates. Selbst wenn man die Ergebnisse Pogacars aus der Wertung nimmt, wäre die Equipe auf Platz eins im WorldTour-Ranking. Das war nicht immer so.
In seiner Anfangszeit 2019 und 2020 galt die Mannschaft als Schwachstelle für den damals schon überragenden Slowenen. Es war kein Hinderungsgrund für den Erfolg, aber die Taktik konnte sich erst in den vergangenen Jahren verändern.
Marc Hirschi, Joao Almeida, Adam Yates, Juan Ayuso, Brandon McNulty, Marc Soler, Pavel Sivakov, Nils Politt - sie alle wären bei vielen Teams selbst in der Lage, als Kapitän Rennen zu gewinnen und ordnen ihre eigenen Ambitionen unter, wenn auch der große Chef an der Startlinie steht.
Beim Giro und der Tour fuhr das Team dominant und von vorne - sie zwangen dem Rest des Feldes ihre Taktik auf, wie man es früher vom Team Sky beziehungsweise Ineos kannte. Der Unterschied zu diesen Mannschaften ist, dass nun in letzter Reihe ein Fahrer steht, der im Anschluss an die Tempofahrt Attacken setzen kann, denen niemand folgen kann.
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Tadej Pogacar: Sieger von Tour de France, Giro d'Italia und WM 2024

Fotocredit: Getty Images

Leistungswerte: Eine Stufe über dem Rest

So war es auch in den Pyrenäen bei der diesjährigen Tour de France. An einem Tag mit sechs Bergwertungen und einem sehr anspruchsvollen Schlussanstieg trat Vingegaard 10 Kilometer vor dem Ziel an, nur Pogacar konnte folgen. Fünf Kilometer vor dem Ziel ließ der Slowene seinen Konkurrenten zurück und fuhr als Solist ins Ziel, Remco Evenepoel wurde Dritter.
Laut dem Radsport-Statisitiker Karlis Ozols von "Lanterne Rouge" waren diese drei Kletterleistungen die besten Performances aller Zeiten - wenn man Zeit, Anstieg und Leistung zusammennimmt.
Demnach produzierte Pogacar an dem 15,7 Kilometer langen und durchschnittlich 7,9 Prozent steilen Anstieg 6,98 Watt pro Kilogramm für 40 Minuten. Bjarne Riis leistete ähnliche Werte bei seinem Tour-Sieg 1996 in Hautacam - allerdings für 35 Minuten. Seine Leistung kam erwiesenermaßen mit unerlaubten Mitteln zustande, gleichzeitig änderten sich Trainings- und Ernährungsmethoden sowie Material in den letzten knapp 30 Jahren essenziell.
Darüber sprach Pogacar zuletzt im "The Peter Attia Drive Podcast" mit einem Mediziner. Seine Ruheherzfrequenz beträgt nach eigenen Angaben 37 Schläge pro Minute. Wenn er in "Zone 2", also im ruhigen Grundlagentempo trainiert, dann beträgt seine Herzfrequenz 140 Schläge pro Minute. Seine Leistung soll dann 320 bis 340 Watt betragen.

Ernährung und Mentale Stärke

Zudem gab Pogacar detaillierte Einblicke in die Ernährungsstrategie von UAE Team Emirates während der Rennen. "In einer Trinkflasche haben wir entweder 30 oder 60 Gramm Kohlenhydrate", sagte er im Podcast. "Bei einer harten Etappe sind die 60 Gramm in der Flasche besser, dann kannst du weniger essen. Ich meine, bei harten Etappen musst du 120 Gramm pro Stunde zuführen. Bei leichteren Etappen sind 60 bis 90 Gramm in Ordnung. Das ist es, worauf wir abzielen."
Insbesondere an der Ernährungsstrategie haben die UAE-Verantwortlichen für die Saison 2024 viel gearbeitet und gefeilt. Noch vor wenigen Jahren ging die Wissenschaft von einer maximalen Kohlenhydrataufnahme von 90 Gramm pro Stunde aus. Pogacar kann - nach entsprechendem Training - bis auf 120 Gramm pro Stunde zu sich nehmen, ein entscheidender Vorteil gegenüber historischen Leistungen.
Als Fahrer mit dem besten Team und den besten körperlichen Voraussetzungen für Erfolg ist es zusätzlich auch die mentale Komponente in Pogacars Stil, die ihn derart erfolgreich macht. Sein überragendes Renngespür und seine Aggressivität können die Kontrahenten schon vor der Ziellinie brechen.
"Ich wusste, dass es nach der Abfahrt im Flachstück leicht bergan geht und dann sehr ungleichmäßig wird. Dort wollte ich das 'mental game' gegenüber Evenepoel gewinnen", sagte Pogacar im Ziel der Lombardei-Rundfahrt und zeigt damit, dass nicht die reine Kraft seinen Vorsprung gegenüber dem Zeitfahrweltmeister erklärt. Stellt ihn das auch historisch auf die höchste Stufe aller Zeiten? "Schauen wir mal, wo ich am Ende der Karriere stehe", sagte er selbst dazu.
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Pogacar unwiderstehlich: Attacke 48 Kilometer vor dem Ziel

Quelle: Eurosport


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