Der LIGAstheniker: Der FC Bayern stolpert von einer Bredouille in die nächste - sind diese Stars untrainierbar?
Update 19/02/2024 um 12:23 GMT+1 Uhr
Der FC Bayern München hängt einem angeschlagenen Boxer gleich in den Seilen. Die jüngste 2:3-Niederlage beim VfL Bochum war der unrühmliche Negativhöhepunkt einer Woche, die mit bitteren Pleiten gegen Bayer Leverkusen (0:3) und Lazio Rom (0:1) begonnen hatte. Die schwachen Auftritte des Starensembles werfen die Frage auf: Sind diese Bayern untrainierbar? Ein Kommentar von Thilo Komma-Pöllath.
Gutmöglich, dass die Art und Weise, wie Thomas Tuchel eine Fußballmannschaft trainiert, einmal als "Tuchel-Paradoxon" in die Literatur des Sports eingehen wird.
So ist es doch ziemlich erstaunlich, dass seit Tuchel in München gastiert, der Trainer einen Großteil der Schlagzeilen absorbiert und nicht die Mannschaft selbst. Man denke an die medialen Attacken gegen seine TV-Kritiker (Lothar Matthäus, Didi Hamann), sein öffentliches Lamentieren über einen zu kleinen Kader und die damit verbundene Forderung nach einem weiteren Verteidiger.
Auch seine bisweilen gewöhnungsbedürftigen Bewertungen der eigenen Spielkunst (nach der 0:3-Klatsche gegen Man City im April 2023 war Tuchel "schockverliebt") taten ein Übriges.
Alle Welt, auch der LIGAstheniker, redete über Tuchel und seine Tauglichkeit als Bayern-Trainer, kaum einer über die Mannschaft, die trotz Rekordtransfers der eigenen Erwartungshaltung hinterherkickte.
Mit seiner ganzen Art nimmt Tuchel das Team oft genug aus der Verantwortung. Das aber kann eigentlich gar nicht im Interesse des Trainers sein, der sichtbar ehrgeiziger scheint als seine Spieler. Und spätestens nach der neuerlichen Peinlichkeit in Bochum stellt sich die Frage: Wie trainiert man diese Bayern? Sind sie womöglich untrainierbar?
Alle schauen auf Tuchel, keiner in die Kabine
Diese Frage stellte "Blickpunkt Sport"-Moderator Markus Othmer gestern Abend nach dem Spiel seinem Publikum im Bayerischen Fernsehen. Und "DAZN"-Kommentator Benni Zander "twitterte" auf X: "Wie viele Trainer des FC Bayern sollen eigentlich noch 'die Kabine verlieren', bis man sich mal intensiver mit der Kabine selbst beschäftigt?"
Sie erinnern sich, das war die wörtliche Begründung des ehemaligen Bayern-Vorstands zur überraschenden Trennung von Julian Nagelsmann im März 2023, Tuchels Vorgänger. Eine berechtigte, aber deutlich unterbelichtete Frage.
Der Trainer ist schuld - kann es so einfach sein?
Nach Pep Guardiola, der 2016 ausstieg, schaffte es kein Bayern-Trainer mehr länger als zwei Jahre bei den Bayern. Kein Carlo Ancelotti, kein Niko Kovac, kein Julian Nagelsmann - selbst der supererfolgreiche Hansi Flick nicht, der vom DFB abgeworben wurde und jetzt wieder als heißer Tuchel-Ersatz gehandelt wird.
Das liegt nicht zuletzt daran, weil kaum einer davon ausgeht, dass Tuchel sein Zweijähriges im März 2025 noch in Bayern-Verantwortung erleben wird. Seit acht Jahren schafft es der FC Bayern nicht eine Ära zu begründen und immer ist der Trainer schuld. Ist es so einfach?
"Das bayerische Kettensägenmassaker"
Der Marktwert des aktuellen Bayern-Kaders liegt bei derzeit knapp einer Milliarde Euro. Der Megatransfer Harry Kane, die jüngsten Panikkäufe eines Eric Dier oder Sacha Boey, die Vertragsverlängerungen 2021 und 2022 mit Gnabry, Kimmich, Goretzka und Musiala haben die Personalkosten in Höhen getrieben (knapp 400 Mio. Euro/Jahr), die sich allein durch den Spielbetrieb (gut 200 Mio. Euro/Jahr) nicht mehr refinanzieren lassen.
Völlig egal also, wie gut die Bayern in den Wettbewerben performen, das Geld muss in großen Teilen auch noch anders (Werbung, Sponsoren) verdient werden. Das wissen die Spieler natürlich.
Es ist nicht so, dass ihnen nach einem Spiel wie in Bochum gestern Abend das schlechte Gewissen nicht anzumerken wäre. Leon Goretzka sprach von einem "Horrorfilm", der nicht mehr zu Ende gehen will - und dabei blickte er drein wie ein Schauspieler aus "Das deutsche Kettensägenmassaker" von Christoph Schlingensief.
Auf dem Rasen aber konnte man nicht den Eindruck bekommen, dass wenigstens einer die "Kettensäge" auspackte um dem "Massaker" am eigenen Team ein Ende zu bereiten.
Wer führt die Bayern auf dem Feld?
Wer also führt diese Bayern auf dem Platz, wenn das Spiel zu stocken beginnt? Wer übernimmt Verantwortung? Diejenigen, die qua Charakter und Persönlichkeit dazu taugen, die Thomas Müllers, Joshua Kimmichs oder Leon Goretzkas stehen dafür nicht mehr zur Verfügung, weil sie immer öfter nicht von Anfang an spielen.
Und mit Manuel Neuer ganz hinten und Harry Kane ganz vorne haben die Bayern zwar nominell zwei Führungsspieler, beide sind nur viel zu selten am Ball und auch keine "aggressive Leader", die tatsächlich die Schubumkehr im Spiel bewirken könnten.
Die Bayern sind nicht so gut wie sie glauben
Wenn die einer in Bochum wollte, dann war es der 20-jährige Jamal Musiala aus der Gen Z, der ja alles mögliche nachgesagt wird, nur kein Verantwortungsgefühl. Beim FC Bayern wird ausgerechnet er ausgebremst durch das Establishment eines gesättigten Kaders, der, so wirkt es oft genug, sich am liebsten selbst trainieren möchte.
"Ihr seid nicht so gut, wie ich annahm, dann muss ich mich eurem Niveau eben anpassen." Das soll Tuchel seiner Mannschaft nach der Niederlage in Leverkusen in der Kabine vor die Füße geworfen haben.
Tuchel dementierte das am Wochenende als "absurd". Aber völlig egal, ob der Satz so gefallen ist oder nicht - er stimmt offenbar.
Kommentare bei Eurosport.de geben stets ausschließlich die Meinung des/der jeweiligen Autors/Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion.
ZUR PERSON: THILO KOMMA-PÖLLATH
Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog als das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
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