Drei Dinge, die bei Österreich gegen Deutschland auffielen: Ralf Rangnick erteilt Julian Nagelsmann eine Lehrstunde
Die deutsche Nationalmannschaft verliert im EM-Test völlig verdient 0:2 (0:1) in Österreich und beendet damit ein horrendes Länderspieljahr standesgemäß. Bundestrainer Julian Nagelsmann erhält dabei eine Lehrstunde seines ehemaligen Meisters Ralf Rangnick, die DFB-Elf fängt sich erst nach dem Platzverweis für Leroy Sané. Trotzdem bleiben Baustellen, Baustellen, Baustellen. Was uns auffiel.
Wehrlos, harmlos, leblos: DFB-Team taumelt ins EM-Jahr
Quelle: SID
Per Mertesacker stand im feuchten Wien und zerlegte die DFB-Elf schon in der Halbzeitpause. "Wir haben mit dem Ball gar keine Lösung, wir kommen gar nicht ins Tempo, haben gar keine Kontrolle ", referierte der normalerweise eher weiche Ex-Nationalspieler im "ZDF" und fuhr fort: "Da ist keine Emotion. Ich sehe kein Team, das sich aufreibt, das miteinander spielt und erfolgreich sein möchte."
Da stand es wohlgemerkt erst 1:0 für Österreich. Das deutsche (Fernseh-)Publikum hatte bis dahin allerdings die schwächste Halbzeit des horrenden Länderspieljahres mit nun sechs Niederlagen erlebt, in der Deutschland wie der Außenseiter wirkte, nicht Austria.
Und es wurde nicht besser. Leroy Sané erwies dem verunsicherten DFB-Team mit seiner Roten Karte nach einer Tätlichkeit gegen Philipp Mwene (49.) einen Bärendienst, danach hatte die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann sogar noch Glück, dass es nur 0:2 ausging.
"Statt emotional zu verteidigen und uns gegenseitig anzustecken, machen wir gerade irgendwie das Gegenteil", fasste es der konsternierte Kapitän Ilkay Gündogan zusammen: Schlechter könne es gar nicht sein, "so wirst du nicht erfolgreich".
Österreich-Trainer Ralf Rangnick frohlockte hingegen: "Ich habe meinen Spielern vor dem Spiel gesagt: Spielt mutig, spielt mit Spielfreude und genießt das Spiel. Das haben sie alles gemacht."
Drei Dinge, die auffielen.
1.) Rangnick erteilt Nagelsmann eine Lehrstunde
Vor dem Spiel schmierten sich beide Honig um den Mund, man kennt sich ja aus gemeinsamen Hoffenheimer und Leipziger Tagen. Was dann jedoch folgte, war eine Lehrstunde des Meisters für den Lehrling.
Während Rangnicks Österreicher perfekt auf die Deutschen eingestellt schon deren Aufbau empfindlich störten und ihnen über das gesamte Feld kaum Luft zum Atmen gaben, wirkte die deutsche Nationalmannschaft unter Julian Nagelsmann eine Stunde lang so hilflos wie vielleicht letztmals vor ziemlich genau drei Jahren unter Joachim Löw beim historischen 0:6 gegen Spanien. "Wer nicht hüpft, der ist ein Piefke, hey, hey", mussten sich die Deutschen Mitte der ersten Halbzeit vom gut gelaunten österreichischen Publikum anhören.
In Ansätzen war vielleicht sogar erkennbar, was Nagelsmann wollte: Pressing in einer Art Würfel-Fünf in vorderster Front, ein Kai Havertz erneut als asynchroner Schienenspieler links, Sané als verkappte zweite Spitze, Julian Brandt mit vielen Freiheiten - das sah man alles, es funktionierte nur überhaupt nicht gegen aggressive, griffige Österreicher, die den DFB-Kickern mit einfachen Mitteln das Leben schwer machten.
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Marcel Sabitzer (Österreich) bejubelt seinen Treffer gegen Deutschland
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Vielleicht war der Nagelsmann-Ansatz aber auch einfach viel zu kompliziert. Die Deutschen bekamen jedenfalls nie Ruhe ins Spiel. Dem Dreieraufbau fehlten beim grimmigen Anlaufen der Hausherren fast immer simple Dreiecke als Anspielstationen, in der Folge bekamen die DFB-Spieler den Ball fast immer mit dem Rücken zum Tor und nicht in offener Stellung in den Fuß und standen so zwangsläufig unter Druck. Außerdem schnappte mehrfach die Pressingfalle der Österreicher zu, wenn der Ball dann doch mal den absichtlich freigelassenen Deutschen erreichte.
Schnelle Seitenverlagerungen waren ebenso wie gut getimte Tiefenläufe nicht zu sehen. Diagonalbälle wurden gar nicht gespielt, Mittelstürmer Niclas Füllkrug verhungerte vorne komplett und wurde zur Halbzeit nach nur 14 Ballkontakten ausgewechselt.
Besser wurde es erst nach einer Stunde, als Deutschland schon in Unterzahl agierte und Nagelsmann durch weitere Wechsel für mehr positionsbedingte Klarheit auf dem Feld sorgte. Trotzdem blieb das DFB-Team an diesem Abend weit davon entfernt, ein Remis oder gar einen Sieg zu erringen. "So reicht es nicht gegen die Top-Nationen", meinte Mats Hummels richtig. Und auch nicht gegen Österreich.
2.) Erst die Sané-Dummheit bringt Klarheit
Es war eine Dummheit, ein Blackout: Leroy Sané wischte Phillipp Mwene nach einem nickeligen Zweikampf im Mittelfeld hart durchs Gesicht und brachte den Mainzer damit zu Fall - Schiedsrichter Slavko Vincic aus Slowenien hatte gar keine andere Wahl, als den Bayern-Star mit Rot direkt zum Duschen zu schicken (49.) - ein empfindlicher Nackenschlag für das ohnehin verunsicherte DFB-Team.
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Leroy Sané (DFB) lässt sich gegen Philipp Mwene (Österreich) zu einer Tätlichkeit hinreißen
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"Leroy hat sich vor der Mannschaft entschuldigt, was ich prinzipiell gut finde", sagte Nagelsmann später: "Am Ende muss er aber so clever sein, dass er das nicht macht und eher die Rote Karte in die andere Richtung provoziert", so der Tadel des Bundestrainers.
Paradoxerweise bekam die DFB-Elf durch die Sané-Dummheit zumindest erstmals so etwas wie Zugriff auf das Spiel: Durch die Einwechslungen von Benjamin Henrichs (53.), Joshua Kimmich, Robert Andrich und Florian Wirtz (alle 61.) fand die deutsche Nationalmannschaft in einem 4-2-2-1-System zumindest eine Grundordnung, die sich den nadelstichartigen Angriffen der Österreicher erwehren konnte.
Das lag vor allem daran, dass nicht mehr gefühlt die halbe Mannschaft auf (vereins-)fremden Positionen agieren musste, sondern ein einfaches Grundgerüst hatte, an dem sie sich orientieren konnte. "Österreich war von Anfang an sehr aggressiv, hat uns den Schneid abgekauft", ordnete Hummels das Erlebte ein: "Wir haben emotional erst nach der Roten Karte dagegengehalten."
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Leroy Sané (r.) sieht im Test gegen Österreich glatt Rot
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3.) Baustellen, Baustellen, Baustellen
Mit dem Offenbarungseid von Wien schloss die deutsche Nationalmannschaft ein horrendes Länderspieljahr standesgemäß mit einer Niederlage ab, die sechste in elf Länderspielen. Nimmt man die verkorkste WM 2022 dazu, gab's in den letzten 14 Spielen nur vier Siege, in den letzten 21 Partien nur zwei ohne Gegentor - gegen die Fußball-"Großmächte" Oman und Peru.
Nach dem passablen Auftakt auf der USA-Reise muss sich Bundestrainer Nagelsmann den Vorwurf gefallen lassen, zu bereits bestehenden Baustellen weitere aufgemacht zu haben - das sorgt vor einer viermonatigen Länderspielpause für Verunsicherung.
Unterm Strich wirkt es so, als hätte der neue Bundestrainer die Mannschaft dekonstruiert, aber noch nicht wieder aufgebaut. Die personellen Schwächen auf beiden Außenverteidigerpositionen sind elementar, das Experiment mit Kai Havertz darf man nach dem 2:3 gegen die Türkei und dem 0:2 in Österreich als gescheitert betrachten. Dazu wirkte die Mannschaft mit dem asynchronen Ansatz überfordert, bekam die Räume nicht vernünftig aufgeteilt.
Auf der Doppel-Sechs machte Nagelsmann mit der Herausnahme von Joshua Kimmich in Wien zudem ein neues Thema auf, dabei hätte er Kimmich ja auch auf die rechte Abwehrseite stellen und damit zumindest eine Baustelle, sei es nur temporär, schließen können.
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Julian Nagelsmann kassierte in Österreich seine zweite Niederlage im vierten Spiel als Bundestrainer
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In der Offensive blieb dagegen vieles Stückwerk. Nagelsmann trug zu weiterer Verunsicherung bei, in dem er Niclas Füllkrug, zuletzt immer für ein Tor gut, in Österreich schon zur Halbzeit auswechselte. Sané nahm sich derweil gleich für die kommenden Länderspiele raus, Serge Gnabry ist aktuell nur ein Schatten seiner selbst, Julian Brandt lieferte zwei indiskutable Länderspiele ab. "Es stimmt hinten und vorne nicht", kritisierte TV-Experte Mertesacker und meinte das treffenderweise wörtlich.
Gescheitert ist Nagelsmann erstmal auch an der Herausforderung, der Mannschaft nach dem Jetzt-müssen-wir-aber-mal-wieder-Sieg gegen Frankreich (2:1) eine vernünftige emotionale Basis für Länderspiele zu verpassen, eine Grundeinstellung zu vermitteln, mit der sich jeder für das Trikot mit dem Adler gewinnbringend einsetzt, ein Miteinander schafft.
Nagelsmann forderte in Wien in der Halbzeit "Akzeptanz", wie er später verriet, "harte Arbeit" und "die in Anführungszeichen deutschen Tugenden". Davon war jedoch auch nach der Pause wenig zu sehen.
Aufhorchen ließ der Bundestrainer mit der Aussage, seine Spieler werden bis zur EM "keine Verteidigungsmonster" mehr werden, "das sind wir nicht". Die Mannschaft habe vielmehr "eine große Gabe, Fußball zu spielen". Die sie aber nicht auf den Platz bringt.
"Blockade ist vielleicht das falsche Wort, aber die Mannschaft ist nicht frei", sagte Nagelsmann: "Wir sind auf dem Platz nicht die Einheit, die wir außerhalb haben. Wir strotzen nicht vor Selbstvertrauen." Die Symptome sieht der neue Trainer, die Medizin hat er (noch?) nicht.
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Hummels gibt Einblick in Zukunftspläne beim BVB
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