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Australian Open - Rafael Nadal und die GOAT-Debatte: Ein Spanier auf dem Zeus-Thron im Tennis-Olymp

Dennis Melzer

Update 31/01/2022 um 16:54 GMT+1 Uhr

Rafael Nadal hat am Sonntag in Melbourne ein Kapitel geschrieben, das aufgrund seines Spannungsbogens in sämtlichen Grisham-Thrillern und wegen seiner stilistischen Finesse in jedem Dostojewski-Werk einen prominenten Platz gefunden hätte. Ein Passus von epochaler Tragweite, der eine der drängendsten Fragen der Tennis-Welt klärte. Zugleich zeitlich begrenzt und doch für die Ewigkeit.

Rafael Nadal gewann 2022 (im Bild) und 2009 die Australian Open

Fotocredit: Getty Images

In der griechischen Mythologie residieren sechs Götter und sechs Göttinnen auf dem Olymp, den Platz auf dem prunkvollsten aller Throne nimmt der oberste olympische Gott Zeus ein. Projiziert man das Bild des Dutzends übermenschlicher Geschöpfe auf den Tennissport, dürften alle, die sich Schläger und Filzkugel verbunden fühlen, eine ganz persönliche Auswahl der zwölf präferierten Himmelsfürst:innen treffen.
Rein objektiv, gemessen an spielerischer Klasse und eingefahrener Silberware, gibt es aufseiten der Herren wohl keinerlei Zweifel, dass Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic zum erlesenen Kreise zählen. Sie alle verbuchten bis zum Sonntag jeweils 20 Siege bei Grand-Slam-Turnieren. Niemand gewann in der Open Era mehr Trophäen bei Major-Turnieren als ebenjenes Ausnahme-Trio.
Dass bei einer derart ungewöhnlichen Konstellation längst die Dauer-Debatte entbrannt ist, ob denn nun Federer, Nadal oder Djokovic der "GOAT", der Größte aller Zeiten, sei, liegt in der Natur der Sache. Einmal davon abgesehen, für welchen Star des Triumvirats man die größten Sympathien hegt: Gemeinhin galt - nüchtern betrachtet - die Anzahl der Grand-Slam-Titel als Gratmesser für die Beantwortung dieser Frage.
Der nächste Triumph würde also einen der drei in eine bis dato noch unbekannte Dimension hieven, den alleinigen Platz an der Sonne gewährleisten. Dass Nadal derjenige sein würde, der als Erster die magische Marke der 21 knacken würde, war zu Beginn des Jahres nicht abzusehen.
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Finale: Nadal besiegt Medvedev nach 5:24 Stunden - Highlights

Nadal als erster 21er? Alle rechneten mit Djokovic

Der Spanier hatte 2021 nach den French Open lediglich zwei Spiele auf der Tour bestritten, vor zwei Monaten stand eigenen Angaben zufolge sogar ein Karriereende zur Diskussion, weil eine langwierige Fußverletzung dauerhaft Probleme bereitete. Hinzu kam, dass Rivale Djokovic im selben Jahr als Dauerdominator in Erscheinung getreten war, Australian Open, Roland Garros, Wimbledon für sich entschied und den Grand Slam nur um Haaresbreite verpasste, weil er im Endspiel der US Open an Daniil Medvedev scheiterte.
Es herrschte weitestgehend Einigkeit, dass der Serbe sich zeitnah von seinen beiden langjährigen Konkurrenten absetzen würde, alleine schon formbedingt und mit Blick darauf, dass er in der jüngeren Vergangenheit mit deutlich weniger körperlichen Verschleißerscheinungen zu kämpfen hatte als Federer und Nadal.
Djokovic wurde die Teilnahme an den jüngsten Australian Open aus bekannten Gründen verwehrt, Federer hingegen musste wegen seiner dritten Knie-Operation passen und wird voraussichtlich auch noch einige weitere Monate nicht auf der Tour in Erscheinung treten. Ob er jemals wieder eine tragende Rolle spielen wird, ist derzeit durchaus fraglich.
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Die Siegerehrung: Nadal emotional - Medvedev beweist Humor

Hätte die Absenz der beiden größten Widersacher im Kampf um den Titel vor einigen Jahren noch den Charakter eines Freifahrtscheins gehabt, bedeutete sie diesmal mitnichten, dass Nadal durchmarschieren würde. Zu stark hatte sich die jüngere Garde um Medvedev und Alexander Zverev in den Vormonaten präsentiert, während der Stier von Manacor aus besagten Gründen ein Dasein als Zuschauer fristete.
Umso erstaunlicher, wie Nadal sich während des Turniers in Melbourne präsentierte, körperliche Grenzen überschritt und aufstrebenden Jungspunden wie Matteo Berrettini und Denis Shapovalov die Stirn bot. Sein Meisterstück lieferte er im Endspiel gegen den wohl verheißungsvollsten Star der "neuen Generation" Medvedev. Der nimmermüde wirkenden Ballmaschine aus Moskau, die wie das metaphorische heiße Messer durch die Turnier-Butter geglitten war, wurde im Vorfeld des Finales legitimerweise zum Favoriten erklärt.
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Rafael Nadal gewann seinen 21. Grand-Slam-Titel

Fotocredit: Getty Images

Medvedev nahm die Rolle eindrucksvoll an, gewann die ersten beiden Sätze und stellte die Weichen für seinen zweiten Grand-Slam-Titel. Es folgte das, was Medien und Experten rund um den Globus später als größtes Comeback der Turniergeschichte deklarieren sollten. Nach einer sensationellen Schlacht über fünf Sätze, einer überwältigenden Darbietung des Mallorquiners, stemmte Nadal in einer tobenden Rod-Laver-Arena den Pokal in den sternenklaren Nachthimmel.

"Der Größte der Geschichte"

Für die spanische Presse war die Sachlage im Anschluss klar. "Der Größte der Geschichte", titelte die "AS", die "Mundo Deportivo" attestierte ihm übermenschliche Kräfte und "Sport" hob das 35-jährige "Mentalitätsmonster" endgültig in den "Olymp des Sports, weit über das Tennis hinaus." Bei aller iberischer Überschwänglichkeit im Rausche des Sieges - die Superlative waren nicht zu widerlegen. Allerdings nicht bloß aufgrund der rein sportlichen Leistung, sondern darüber hinaus, weil Nadal sich im Nachgang - einmal mehr - als demütiger und staatsmännischer Gewinner präsentierte.
Zunächst widmete er Medvedev trostspendende Worte, prophezeite dem Russen: "Du bist ein Champion und wirst dieses Turnier noch oft gewinnen." Als er über sich und seinen Weg sprach, bezeichnete Nadal den Sieg als einen der emotionalsten seiner Karriere. "Ich wusste gar nicht, ob ich überhaupt zurückkehren würde", sagte er und schob nach: "Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich kämpfen musste, um das hier zu erreichen."
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Onkel Toni über Nadal: "War vielleicht Rafaels wichtigstes Spiel"

Die Zuschauer, die ihm während des Turniers stets wohlgesonnen waren, bezog er ebenfalls in seine Siegesrede ein: "Ihr wart die ganze Zeit eine riesige Unterstützung für mich. Das wird mein Leben lang in meinem Herzen bleiben", sagte Nadal und gab ein viel umjubeltes Versprechen ab: "Eigentlich hatte ich gedacht, dass es meine letzten Australian Open sein könnten. Aber es gibt jetzt viele Gründe, um weiterzumachen. Ich werde alles versuchen, um im nächsten Jahr wieder dabei zu sein."
Erst einmal muss Australien aber ein Jahr auf den Publikumsliebling warten, zunächst stehen im Mai die French Open an. Bis dahin besetzt Nadal die Rolle des Zeus im Tennis-Olymp. Rein statistisch ein GOAT, der noch übertroffen werden könnte - sein unglaubliches Comeback nach Verletzung und schier aussichtslosem Endspielrückstand waren aber für die Ewigkeit. Die Größten ihrer Zunft werden eben nicht nur an nackten Zahlen gemessen.

Podcast - Das Gelbe vom Ball mit Julia Görges

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Der Matchball: Nadal gewinnt unglaubliches Finale

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