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US Open- Justine Henin blickt zurück auf Halbfinal-Schocker gegen Jennifer Capriati: "Ich hing in den Seilen"

Tobias Laure

Update 08/09/2023 um 10:46 GMT+2 Uhr

Justine Henin blickt in der Eurosport-Serie Legends' Voice auf eines der spektakulärsten und dramatischsten Halbfinals der US-Open-Geschichte zurück. 2003 dreht die Belgierin eine fast schon verlorene Partie gegen US-Star Jennifer Capriati und schockte damit ihre Gegnerin und das Publikum. "Ich hing in den Seilen", gibt Henin heute zu und verrät, wie sie doch noch das nahezu Unmögliche schaffte.

Legends' Voice mit Justine Henin

Fotocredit: Getty Images

US-Star Coco Gauff hat sich im Halbfinale von der Unterstützung des Publikums tragen lassen und Karolina Muchova 6:4, 7:5 geschlagen. Im Endspiel geht es nun gegen Aryna Sabalenka.
Gauff kann sich auch im Finale auf "ihre" Fans verlassen - was aber Risiken bergen kann. Das weiß kaum jemand besser als Justine Henin, die vor 20 Jahren im Halbfinale von Flushing Meadows der US-Amerikanerin Jennifer Capriati gegenüberstand.
Die heutige Eurosport-Expertin war Außenseiterin, geriet fast aussichtslos in Rückstand - und wurde trotzdem zur Party-Crasherin.
Capriati sei "wie elektrisiert" gewesen. "Sie wollte ihr Publikum beeindrucken und unterhalten", erinnert sich Henin in der Eurosport-Serie Legends' Voice. Das gelang Capriati damals über weite Strecken der Begegnung.
Am Ende aber konnte sie den Deckel nicht draufmachen und musste miterleben, wie ihr der Traum vom Finale zwischen den Händen zerrann. Henin blickt zwei Jahrzehnte später auf ein Match zurück, das niemand vergessen kann, der dabei war.
Von Justine Henin
Hallo liebe Tennis-Fans,
ich war wie benebelt, von Krämpfen und Müdigkeit geschüttelt, von Emotionen und Adrenalin aufgepumpt. Der Sieg kam so unerwartet, dass ich mich nicht wirklich an die sehr kalten Handshakes mit Jennifer Capriati erinnern kann. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu ihr, wir respektierten uns, erkannten uns an - aber wir hatten keine besonders enge Beziehung.
Es gab zuvor schon einige intensive Duelle zwischen uns, aber keine Antipathie. Ich glaube, dass die Enttäuschung bei ihr an diesem Abend einfach überwältigend war. Jennifer hatte das Match so oft in der Hand und dachte wahrscheinlich, dass sie es gewinnen würde. Am Ende war sie einfach enttäuscht, das konnte ich gut verstehen.
Jennifer war eine der Kontrahentinnen, gegen die ich am liebsten gespielt habe. Sie schlug die Bälle auf besondere Weise.
Ich habe mir das Spiel später noch einmal angesehen und erkannt, wie schmerzhaft die Situation für sie war. Es war schwer für Jennifer. Vor ihrem Heimpublikum wollte sie natürlich zum Erfolg kommen. Der kalte Händedruck war also kein Mangel an Respekt, sondern vielmehr das Symbol ihrer großen Traurigkeit. Ich kenne diese Momente, in denen man alles in der Hand zu haben scheint und am Ende eine schreckliche Enttäuschung steht.
Jennifer war eine der Kontrahentinnen, gegen die ich am liebsten gespielt habe. Sie schlug die Bälle auf besondere Weise. Es war immer sehr physisch gegen sie, was mir gefallen hat. Dieses Match im Halbfinale der US Open aber war episch, gewaltig.
Das ist jetzt genau 20 Jahre her. Ich war damals noch eine junge Frau und hatte gerade meinen ersten Grand-Slam-Titel bei den French Open gefeiert. Sicher, ich hatte schon ein bisschen Erfahrung, musste aber auch bereit sein, mich auf neue Abenteuer einzulassen.
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Jennifer Capriati und Justine Henin nach dem US-Open-Halbfinale 2003

Fotocredit: Imago

Es war schwierig für mich, in den USA zu spielen. Ich war eher schüchtern und introvertiert, hatte es dort aber mit einem überschwänglichen und extrovertierten Publikum zu tun. Ende 2002 war ich mit meinem Fitnesstrainer Pat Etchverry eine Zeit lang in Florida. Mein Englisch wurde besser und ich lernte die amerikanische Kultur kennen, hatte allerdings noch viel vor mir. Ein US-Open-Halbfinale gegen eine US-Championesse in der Night Session im Arthur Ashe Stadium, das ist etwas ganz Besonderes.
An diesem Abend war ich von allem ein wenig überwältigt. Die Atmosphäre in New York ist einzigartig, speziell in der Night Session. Mir war klar, dass ich brillant spielen kann, wenn es mir gelingt, diese Atmosphäre für mich zu nutzen - und genau das ist passiert.
Jennifer hat die Partie damals im Zustand großer Aufregung und Anspannung gespielt. Sie war wie elektrisiert, wollte ihr Publikum beeindrucken und unterhalten. Sie hat versucht, davonzuziehen, bekam das Momentum auf ihre Seite und gewann den ersten Satz 6:4.
Es wäre gut möglich gewesen, dass ich 4:6, 2:6 verliere, unter der Dusche stehe und mich innerlich mit dem nächsten Turnier beschäftige. Es kam anders.
Im gesamten Spiel war sie zig Mal nur zwei Punkte vom Sieg entfernt, sie dominierte. Ich lag 4:6, 2:5 zurück und sie hat das beste Tennis ihrer Karriere gespielt. Kurzum: Ich hing in den Seilen!
Es gibt dieses Matches, in denen sich plötzlich alles ändert. Es wäre gut möglich gewesen, dass ich 4:6, 2:6 verliere, unter der Dusche stehe und mich innerlich mit dem nächsten Turnier beschäftige. Es kam anders. Nach drei Sätzen und ebenso vielen Stunden habe ich eine Begegnung gewonnen, die sich in die Erinnerung der Leute eingebrannt hat. Das war mir damals natürlich noch nicht klar, aber ich hatte die Mentalität, nie aufzugeben, auch wenn ich damit rechnen muss, zu verlieren.
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Justine Henin jubelt nach dem Sieg gegen Jennifer Capriati

Fotocredit: Getty Images

Im zweiten Satz war ich bei 4:6, 3:5 zwei Punkte von der Niederlage entfernt und habe einen brillanten Halbvolley sowie einen defensiven Lob beim Breakball gespielt. Das hat das Match komplett verändert. Aggressivität, Mut und vor allem Instinkt - das waren die Schlüssel.
Im dritten Satz, ich lag erneut klar mit 2:5 zurück, habe ich immer noch an mich geglaubt, obwohl ich von Krämpfen geplagt wurde. Jennifer hätte das Halbfinale jetzt wirklich gewinnen müssen, aber ich habe Charakterstärke bewiesen. Es war fast schon Schicksal, dass ich das Spiel für mich entscheiden konnte.
Wenn du nur noch ein Spiel vor dir hast, wenn es sich um das Finale eines Grand-Slam-Turniers handelt, dann trotzt du Schmerzen und Müdigkeit.
Vor dem Finale gegen Kim Clijsters, das ich 7:5, 6:1 gewann, hatte ich dann gar keine Zeit, nervös zu werden, weil ich mich vorbereiten wollte und musste. Der Tag verging so schnell, dass ich gar nicht darüber nachgedacht habe, ob ich antreten kann oder nicht. Die letzte Trainingseinheit zeigte mir, dass es geht. Ich war müde, aber nicht verletzt, es bestand kein gesundheitliches Risiko.
Wenn du nur noch ein Spiel vor dir hast, wenn es sich um das Finale eines Grand-Slam-Turniers handelt, dann trotzt du Schmerzen und Müdigkeit. Ich wurde förmlich getragen, weil ich wusste, dass es ein großer Moment meiner Karriere war. Kim aber kannte meinen Zustand und wusste, was ich im Halbfinale durchgemacht hatte - und vielleicht lag der Druck deshalb bei ihr. Bei mir lag er jedenfalls nicht.
Liebe Grüße und spannende US Open,
Eure Justine

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