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Biathlon: Michael Rösch im Interview über Rücktritt von Kirchner, Herrmann-Wick, Bö und die DSV-Ergebnisse im Weltcup

Robert Bauer

Update 21/03/2023 um 14:13 GMT+1 Uhr

Die Biathlon-Saison 2022/23 ist mit einem Paukenschlag zu Ende gegangen. Der deutsche Männer-Bundestrainer Mark Kirchner hat nach dem finalen Weltcup-Rennen in Oslo seinen Rücktritt bekannt gegeben. Eurosport-Experte Michael Rösch spricht exklusiv über den Abschied seines langjährigen Wegbegleiters sowie das Karriereende von Denise Herrmann-Wick und die Dominanz von Johannes Thingnes Bö.

Showeinlage in Verfolgung: Oslo liegt König Bö zu Füßen

Der Biathlon-Winter ist mit einem Knall zu Ende gegangen. Der deutsche Männer-Bundestrainer Mark Kirchner hat nach dem finalen Massenstart-Rennen in dieser Weltcup-Saison in Oslo seinen Rücktritt bekannt gegeben.
Eine Entscheidung, die auch Eurosport-Experte Michael Rösch überraschte. Der Staffel-Olympiasieger von 2006 spricht im Exklusiv-Interview über den Abschied seines langjährigen Wegbegleiters sowie das Karriereende von Denise Herrmann-Wick und die Dominanz des Norwegers Johannes Thingnes Bö.
Außerdem analysiert Rösch die abgelaufene Weltcup-Saison aus DSV-Sicht und wirft einen Blick in die Zukunft des deutschen Biathlon-Sports.
Das Interview führte Robert Bauer.
Herr Rösch, ein langer und aufregender Biathlon-Winter ist mit einem Paukenschlag zu Ende gegangen: Bundestrainer Mark Kirchner hat am Sonntag seinen Rücktritt verkündet. Wie bewerten Sie seinen Entschluss?
Michael Rösch: Das kam schon sehr überraschend und war meiner Meinung nach auch nicht richtig absehbar. Eigentlich war der Plan, dass Erik Lesser, Arnd Peiffer und Mark Kirchner gemeinsam nach den Olympischen Winterspielen aufhören wollten. Peiffer hat aber schon ein Jahr früher die Reißleine gezogen. Es ist schade, weil ich Mark kenne, seit ich 17 Jahre alt bin. Er hat mich sowohl als Juniorensportler als auch im IBU-Cup und im Weltcup betreut. Wir hatten eine sehr gute Zeit, aber natürlich auch ein paar Meinungsverschiedenheiten - das gehört dazu. Der Abschied ist ihm sehr schwergefallen. Die Bilder nach dem Rennen haben für sich gesprochen.
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Bundestrainer Mark Kirchner macht Schluss

Fotocredit: Getty Images

War der Schritt aus sportlicher Sicht richtig?
Rösch: Aus dem Interview, das er nach dem Rennen gegeben hat, war rauszuhören, dass es seine Entscheidung war, den Posten freiwillig zu räumen. Ich glaube, er spürt, dass es jetzt einen frischen Wind im Trainerteam braucht. Ich finde, es ist eine gute und faire Entscheidung. Er war jetzt eine lange Zeit im Amt und vielleicht ist bei ihm der Gedanke gereift, dass er die Mannschaft nicht mehr so erreicht wie früher. Mark hat allerdings eine jahrzehntelange Expertise und wird glücklicherweise im Juniorenbereich weiter aktiv sein.
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Kirchner emotional: "War schwer, es der Mannschaft mitzuteilen"

Bei Uros war ich zunächst etwas skeptisch
Mit Uros Velepec und Jens Filbrich stehen die beiden Nachfolger schon bereit. Was zeichnet die beiden aus und sehen sie das deutsche Team auf dem Trainerposten gut aufgestellt?
Rösch: Bei Uros war ich in der vergangenen Saison zunächst etwas skeptisch, aber ich wurde zum Glück eines Besseren belehrt. Er ist mit seiner Art im Team sehr gut angekommen. Ich kenne ihn persönlich auch schon lange. Er ist ein cooler Typ, spricht relativ gut deutsch und hat schon viele Trainerstationen durchlaufen. Außerdem ist Uros sehr fortschrittlich und hat viele neue Trainingsmethoden reingebracht.
Und Filbrich?
Rösch: Von Jens Filbrich, den viele wahrscheinlich gar nicht auf dem Zettel gehabt haben oder kennen, weil er aus dem Langlauf kommt, habe ich sehr viel Positives gehört. Er hat in der IBU-Cup-Mannschaft viele Impulse reingebracht. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die beiden gut ergänzen - das sollte funktionieren. Zumal die deutschen Männer - auch wenn die Ergebnisse bei der WM nicht sonderlich gut waren - nach wie vor vorne mit dabei sind. Benedikt Doll wurde Vierter im Gesamtweltcup, Roman Rees landete auf Rang neun. Hintenraus hat sich auch gezeigt, dass der eine oder andere die Qualität hat, um vorne reinzulaufen.
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Denise Herrmann-Wick

Fotocredit: Getty Images

Herrmann-Wick, Olsbu Röiseland und Eckhoff hinterlassen definitiv eine Lücke
Apropos Rücktritt: Neben dem deutschen Aushängeschild Denise Herrmann-Wick haben auch Marte Olsbu Röiseland und Tiril Eckhoff ihre Karrieren beendet. Muss man sich um den Biathlon-Sport bei den Frauen Sorgen machen, weil gleich drei Aushängeschilder in den Ruhestand gehen?
Rösch: Es haben schon so viele große Namen aufgehört und es ging immer weiter, weil auch immer wieder neue Leute kommen, die den Sport beleben. In der Vorsaison haben insgesamt über 20 Athlet/innen ihre Karriere beendet. Darunter auch ein Erik Lesser, wo es hieß, dass jetzt die letzte Ikone aus Deutschland weg wäre. Es geht aber trotzdem weiter - und es wird auch jetzt weitergehen. Trotzdem verschwinden nun natürlich drei ganz große Namen. Besonders im Fall Tiril Eckhoff ist das schade, weil sie aus gesundheitlichen Gründen (Folgen ihrer Corona-Erkrankung; Anm. d. Red.) mehr oder weniger zum Rücktritt gezwungen wurde. Sowohl Herrmann-Wick als auch Olsbu Röiseland und Eckhoff haben mit zahlreichen WM- und Olympiamedaillen, unzähligen Weltcup-Podestplätzen und sogar zwei Siegen im Gesamtweltcup (Olsbu Röiseland 2021/22 und Eckhoff 2020/21; Anm. d. Red.) ihre Visitenkarten im Biathlon abgegeben. Die drei hinterlassen definitiv eine Lücke. In zwei, drei Jahren wird darüber aber auch nicht mehr so häufig gesprochen werden, weil sich das Rad immer weiterdrehen wird und die Nachfolger/innen bereits in den Startlöchern stehen.
Was bedeutet der Rücktritt von Herrmann-Wick für das deutsche Biathlon?
Rösch: Wenn die 'Mutti', wie sie im deutschen Team genannt wurde, 'tschüss' sagt, dann heißt das einiges. Das Gute für die Mannschaft war, dass sich viele hinter ihr verstecken und gleichzeitig entwickeln konnten. Zum Beispiel Hanna Kebinger oder Sophia Schneider, die beide eine sensationelle WM abgeliefert haben. Jetzt ist Denise, die als Frontfrau auch aufgrund ihrer Leistungen alles abgefangen hat, aber erstmal weg. Das Team muss sich im Hinblick auf die kommende Saison somit komplett neu sortieren.
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Konfettiregen im Ziel: Abschiedsparty für Herrmann-Wick und Co.

Brauchen die deutschen Damen nun also eine neue Führungspersönlichkeit?
Rösch: Es gibt immer die Frage nach dem Leader/der Leaderin in der Mannschaft. Ich finde nicht, dass es diese Rolle in jeder Biathlon-Mannschaft unbedingt braucht, aber das Gesicht des deutschen Damen-Teams ist trotzdem nicht mehr da. Ich bin aber sehr optimistisch, dass die Entwicklung so weitergeht. Vanessa Voigt war in dieser Saison erneut sehr stabil und in ferner Zukunft kommt hoffentlich irgendwann auch Selina Grotian. Es wird aber dennoch eine schwierige Aufgabe, weil die Podestplatzierungen vordergründig Denise eingefahren hat. Wenn man ihre Leistungen - speziell bei der WM - rausnimmt, wären die Wettkämpfe natürlich nicht so erfolgreich verlaufen. Gerade bei den Frauen ist das Feld unglaublich offen. Alleine im Sprint gab es in sieben Rennen sechs verschiedene Siegerinnen (einzig Herrmann-Wick mit zwei Siegen; Anm. d. Red.). Für die deutschen Damen wird es dadurch natürlich schwierig, sich durchzusetzen, aber grundsätzlich bin ich optimistisch.
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Selina Grotian ist eine große deutsche Biathlon-Hoffnung

Fotocredit: Getty Images

Grotians Leistungen sind deutlich fortgeschrittener als bei den Männern
Bei den Damen stehen mit Selina Grotian und Julia Tannheimer zwei Talente bereit. Wie sieht es bei den Männern aus, sehen Sie da jemanden, der für eine erfolgreiche Zukunft sorgen kann?
Rösch: Es wäre natürlich cool gewesen, wenn bei den Männern beim Weltcup-Finale ein Junior dabei gewesen wäre. Benjamin Menz, der zuletzt Juniorenweltmeister wurde, hat es aber leider ganz knapp nicht geschafft. Die Juniorenstaffel hat bei der WM mit der Silbermedaille einen sehr starken Eindruck hinterlassen. Es gab außerdem viele Einzelmedaillen. Allerdings sind die Leistungen von Selina Grotian bei den Frauen deutlich fortgeschrittener als bei den Männern. Es ist für die Junioren im Männer-Bereich aber auch schwieriger, weil die Norweger schon wieder die nächsten Granaten in der Hinterhand haben. Aus deutscher Sicht wird es jedoch in naher Zukunft mit Sicherheit das eine oder andere neue Gesicht geben und auch geben müssen. Der Italiener Tommaso Giacomel und Niklas Hartweg aus der Schweiz, die beide schon in jungen Jahren im Weltcup gestartet sind, haben es vorgemacht. Es wird immer geschrieben, dass wir neue Talente im Weltcup brauchen, allerdings muss natürlich auch die Leistung passen. Solange die arrivierteren Athlet/innen besser sind, ist es schwer, diese rauszunehmen. Grundsätzlich sehe ich es bei den Männern deutlich schwieriger, sich in der Weltspitze durchzusetzen, als bei den Frauen.
Wie bewerten Sie generell die Saison aus deutscher Sicht?
Rösch: Die Männer haben es immer wieder geschafft, aus eigener Kraft auf das Podest zu laufen. In dieser Saison war es mit Johannes Thignes Bö in dieser Form natürlich unheimlich schwer - dessen Leistungen muss man einfach rausrechnen. Trotzdem muss ich sagen: Hut ab vor Benni (Benedikt Doll; Anm. d. Red.), der mit Platz vier im Gesamtweltcup sehr konstant durch die Saison gekommen ist. Auch Roman Rees hatte mit Platz neun eine starke Saison. In die Top Ten des Gesamtweltcups muss man erst mal kommen und das hat er geschafft. Justus Strelow hat das beste aus seinen Möglichkeiten rausgeholt. Johannes Kühn und Philipp Nawrath sind dagegen hinter ihren Erwartungen geblieben - beide können deutlich mehr. Bei den Frauen hat hinter Denise Herrmann-Wick vor allem Vanessa Voigt überzeugt. Sophia Schneider und Anna Weidel haben speziell zu Beginn der Saison aufhorchen lassen. Zudem geht die Hanna Kebinger, die lediglich die letzten beiden Drittel des Weltcups absolviert hat, schnell und konstant nach oben.
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Johannes Thingnes Bö

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Bö ist ein Ausnahmesportler ähnlich wie Shiffrin oder Duplantis
Johannes Thingnes Bö hat in dieser Saison bei den Männern alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Wie lässt sich seine Dominanz erklären?
Rösch: Wenn man Talent mit einer guten psychischen Ausgeglichenheit und Training verbindet, dann kommt so ein Jahrhunderttalent dabei heraus. Er ist ein Ausnahmesportler ähnlich wie Mikaela Shiffrin im Ski Alpin oder Armand Duplantis im Stabhochsprung. Bö hat ein gutes Umfeld, seine Familie inklusive seines Bruders Tarjei, mit dem er sich duellieren kann, sowie ein super Trainer- und Wachs-Team um sich herum. Darüber hinaus ist er sehr stabil im Kopf und hat eine von Gott gegebene Gabe, nämlich sein großes Herz und sein riesiges Lungenvolumen. Wo Bö anfängt zu spielen, da sind andere schon am Limit. Es zeichnet ihn einfach aus, dass er in der Loipe so stark ist. Allerdings ist er mittlerweile auch am Schießstand schnell und konstant - das ist einfach Wahnsinn.
Fast schon wahnsinnig war auch seine Aktion in der Verfolgung von Oslo, als er das Publikum mit einer Showeinlage begeisterte. Wie bewerten Sie solche Aktionen?
Rösch: Wenn er in diesem Winter mal verloren hat, was selten der Fall war, hat er sich als sehr fairer Sportsmann präsentiert und seinen Konkurrenten gratuliert. Es stand zuletzt nach seinen Gesten immer wieder die Frage im Raum, ob das dominant oder schon arrogant sei. Ich hatte das Gefühl, dass er die Leute damit einfach unterhalten und mit dem Publikum spielen wollte. Mir persönlich kam das auch nicht arrogant vor. Mit dem Eintritt des französischen Trainers Siegfried Mazet hat er sich persönlich noch einmal weiterentwickelt. Früher hat er auch mal gerne Party gemacht - heute ist er ein erwachsener, reifer Mann.
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Strafrunden stoppen Bö nicht - Doll verspielt Spitzenplatz

Wie die Norweger arbeiten, ist sehr beeindruckend
Was müssen die anderen Teams tun, um diese Dominanz der Norweger zu brechen?
Rösch: Wenn ich bei einem anderen Team wäre, würde ich einen Antrag bei der IBU einreichen, dass Johannes Thingnes Bö in der nächsten Saison beispielsweise nur noch mit einem Stock läuft oder lediglich vier Schüsse zur Verfügung hat (lacht). Man muss es einfach akzeptieren. Es ist wie in vielen Wintersportarten so: Die Norweger sind einfach besser. Der Grund dafür ist, dass das gesellschaftliche Gut Sport in Norwegen anders angesehen wird. Peter Schlickenrieder (Deutschlands Langlauf-Bundestrainer; Anm. d. Red.) hat zuletzt gesagt, dass man Sport in Deutschland im Grundgesetz verankern müsse. An dieser Stelle sieht man, wie weit Deutschland in diesem Bereich hinterher ist. Ich glaube, dass die Strukturen in Norwegen nicht besser sind als hierzulande, aber dort sind manche Athlet/innen mit 12, 13 Jahren schon weiter als einige in Deutschland mit 25.
Wieso ist das so?
Rösch: Sie kennen ihren Körper besser, bekommen mehr Input und haben daher mehr Know-how. Das ist schon sehr beeindruckend, wie die Norweger arbeiten. Für andere Nationen ist es daher schwer, dagegen anzukommen. Hie und da gelingt es auch kleineren Nationen, vorne reinzulaufen, was umso beeindruckender ist. Letztlich geht es nur über harte Arbeit und darum, richtig zu trainieren. Aus deutscher Sicht muss man einfach am Ball bleiben, vielleicht stellenweise noch mehr investieren und an seine Fähigkeiten glauben. Immerhin gab es auch in diesem Winter viele Podestplätze aus eigener Kraft. Daran muss man einfach festhalten und weitermachen.
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Vincent Vittoz tritt als Frankreich-Trainer zurück

Fotocredit: Getty Images

Im französischen Team gab es mit den Rücktritten von Vincent Vittoz und Patrick Favre dagegen ein regelrechtes Trainer-Beben. Im Anschluss hat das Duo sogar noch gegen die eigenen Athleten nachgetreten. Ist die Kritik aus ihrer Sicht berechtigt oder ein No-Go?
Rösch: Es gab bei Frankreich intern viele Reibereien, was sich letztlich auch auf das Leistungsniveau ausgewirkt hat. Émilien Jacquelin war komplett von der Rolle. Quentin Fillon Maillet war auch weit weg von dem, was er in den vergangenen Jahren gezeigt hat. Hie und da hat sich auch jemand verbessert, aber es war eine generelle Unruhe bei den Männern. Bei den Frauen war es dagegen das komplette Gegenteil: Alle Französinnen haben sich extrem verbessert. Ich weiß nicht, wer speziell gegen wen nachgetreten hat, aber man hat immer wieder im Weltcup Stimmen gehört, dass es innerhalb des Teams Unruhe und Unzufriedenheit gibt - das ist dann eben das Endprodukt. Es ist unglücklich gelaufen und natürlich blöd, wenn das dann an die Öffentlichkeit gelangt. So etwas sollte man am besten intern klären. Letztlich zählt aber eben die Leistung und wenn die Sportler nicht mehr zufrieden sind, dann muss ein Schlussstrich gezogen und ein Neuanfang gewagt werden.
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Öberg holt letzten Sieg - Kebinger knapp an Podest vorbei

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