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Biathlon-WM: Michael Rösch im exklusiven Interview über Herrmann-Wick, Bö und das Abschneiden der DSV-Männer

Pascal Steinmann

Update 21/02/2023 um 10:54 GMT+1 Uhr

Michael Rösch blickt im exklusiven Interview mit Eurosport.de auf die Biathlon-WM in Oberhof zurück. Der Olympiasieger bezeichnet das Abschneiden der DSV-Männer als "ernüchternd" und betreibt Ursachenforschung. Zudem erklärt der Sachse, wieso Johannes Thingnes Bö und Denise Herrmann-Wick am Ende nicht mehr zu Gold laufen konnten. Bei der Sprint-Weltmeisterin hat Rösch zudem ein "Bauchgefühl".

"Sensationell eingeteilt!" Herrmann-Wick stürmt zu Sprint-Gold

Eurosport-Experte Michael Rösch blickt nach zwei Wochen in Oberhof im exklusiven Interview auf die Biathlon-WM 2023 zurück. Das Abschneiden der DSV-Männer bezeichnet der Staffel-Olympiasieger von 2006 als "bitter und ernüchternd".
Ganz anders dagegen die Vorstellung von Johannes Thingnes Bö: Der Norweger sammelte bei der Weltmeisterschaft fünf Goldmedaillen, ehe er sich an den beiden Schlusstagen mit Silber und Bronze begnügen musste. "Es ist schön zu sehen, dass er ein Mensch und kein Außerirdischer ist", sagt der 39-Jährige mit einem Augenzwinkern.
Der Sachse erklärt, was Denise Herrmann-Wick nach ihrem WM-Titel beim Heimspiel noch für die "Hall of Fame" des Biathlon fehlt und verrät, welches "Bauchgefühl" er für die Zukunft der 34 Jahre alten Olympiasiegerin hat.
Rösch lüftet überdies im Gespräch mit Eurosport.de das Geheimnis, wem er voraussichtlich sein goldenes Sakko schenkt, mit dem er die Goldmedaille von Herrmann-Wick im Sprint live im TV würdigte.
Das Interview führte Pascal Steinmann.
Herr Rösch, zwei Wochen Biathlon-WM liegen hinter uns. Mit welchen Gedanken blicken Sie auf Oberhof zurück?
Michael Rösch: Das lässt sich nicht in einem Wort zusammenfassen. Es ist selbst für mich schwer zu verarbeiten, es herrschten so viele Eindrücke. Es gibt so viele Geschichten, die diese Weltmeisterschaft bunt gemacht haben. Aber aus deutscher sportlicher Sicht war es das goldene Sakko (lacht). Die Goldmedaille von Denise Herrmann-Wick im Sprint hat alles überstrahlt. Das war ein Sahnetag, den wir alle erleben durften.
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Highlights: Herrmann-Wick sprintet in Oberhof zu WM-Gold

Dagegen haben die deutschen Männer ausgerechnet bei der Heim-WM erstmals seit 1969 keine Medaille eingefahren. Wie bewerten Sie die Situation im DSV-Team?
Rösch: Ich möchte da überhaupt nicht draufhauen. Es ist wirklich schade. Hier und da hat man auch gehört, dass das Material nicht so gut war. Bei den Männern war es generell einfach schwieriger, eine Medaille zu gewinnen - insbesondere aufgrund der Dominanz der Norweger. Dass die Schweden so stark zurückkommen, war auch nicht unbedingt abzusehen. Es macht mich aber traurig, wenn man die Vorleistungen berücksichtigt.
Roman Rees wurde in Antholz zwei Mal Vierter. Benedikt Doll und David Zobel standen in dieser Saison bereits auf dem Podest.
Rösch: Genau. Das war zwar zu Saisonbeginn, doch der Start in den Winter hat nicht das widergespiegelt, was die Männer nun in Oberhof geleistet haben. Es ist vor allen Dingen bitter und ernüchternd, dass sie in den Staffeln keine Medaille holen konnten. Da sieht man aber wieder, wie schwer es ist, Edelmetall zu gewinnen. Aber am Ende zählen bei einer WM eben nur die Medaillen.
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Johannes Kühn bei der Biathlon-WM 2023 in Oberhof

Fotocredit: Getty Images

Die deutschen Herren standen bei allen vier Staffeln in dieser Saison auf dem Podium. Inwieweit ist das Abschneiden in Oberhof mit dem Druck des Heimspiels zu erklären?
Rösch: Die Hütte ist brechend voll, die Jungs müssen von A nach B. Überall wird an ihnen gezerrt, sie müssen unheimlich viele Dinge erledigen. Vielleicht war es für den einen oder anderen dann ein Tick zu viel. Es war aber auch Pech dabei. Johannes Kühn hat im Stehendschießen bei der Staffel eine Orkanböe erwischt. Trotzdem hat er seinen Einsatz absolut gerechtfertigt. Sie hätten es verdient. Aber: Im Sport wird einem nichts geschenkt.
Ihre Kollegin Laura Dahlmeier sprach von "der einen oder anderen Baustelle" im Team. Wo muss man in Ihren Augen ansetzen?
Rösch: Es bereitet mir ein bisschen Sorgen, dass ein Benedikt Doll in absehbarer Zeit aufhört. Johannes Kühn und Philipp Nawrath sind auch nicht mehr die Jüngsten. Im Nachwuchs fehlt bei den Männern das Übertalent wie Selina Grotian bei den Frauen, im IBU-Cup dominiert Norwegen. Da fällt mir kein Name ein, den man bedenkenlos vom Juniorenalter in den Weltcup schicken kann.
Bei der gesellschaftlichen Anerkennung des Sports sind wir weit entfernt von den Skandinaviern.
Sie sprechen die Breite der Norweger an, die in Oberhof 13 Medaillen gewonnen haben. Die Schweden fahren mit elf Medaillen nach Hause. Was läuft in Skandinavien besser als bei den Deutschen?
Rösch: Der Urschleim beginnt beim gesellschaftlichen Ansehen des Sports. In Norwegen gibt es einen separaten Sportminister, in Deutschland ist das am Innenministerium angegliedert. Es war schön zu sehen, dass Frank Ulrich, Frank-Walter Steinmeier oder Nancy Faeser in Oberhof zu Gast waren. Man konnte also erkennen, dass die Weltmeisterschaft eine Außenwahrnehmung hatte. Aber bei der gesellschaftlichen Anerkennung des Sports sind wir weit entfernt von den Skandinaviern.
Welche Punkte stören Sie da besonders?
Rösch: Das beginnt im Kindesalter. In der Schule wird der Sportunterricht als erstes gestrichen, die Vereine müssen sich durchwurschteln. In Norwegen hat man da ein anderes System und eine andere Denkweise, dort herrscht eine andere Einstellung zum Sport. Natürlich haben sie auch die Vorbilder. Wenn man jeden Tag einen Johannes Thingnes Bö sieht und man werden möchte wie er, ist das ein Vorteil. Und Norwegen hat den Standort- und Schneevorteil. Sie beginnen früh mit dem Skilaufen.
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Die schnellste Hand von Oberhof: Bö fackelt Gold-Feuerwerk ab

In Deutschland ist das eine andere Situation.
Rösch: Hier ist das stützpunktbezogen. Die Frage ist: Wo kommst Du her? Wir haben in Deutschland das beste Fördersystem der Welt, der DSV versucht im Rahmen seiner Möglichkeiten alles. Aber international reicht es gerade bei den Männern aktuell nicht, um bei einer Weltmeisterschaft Medaillen zu holen. Das wird man von heute auf morgen nicht verändern können. Es ist ein langer Prozess, zumal Biathlon ein teurer Sport ist.
Norwegens Superstar Bö war in Oberhof so dominant, dass gar sieben Goldmedaillen realistisch schienen. Am Ende gab es "nur" fünf Mal Gold. Mit einem Augenzwinkern: Wie viele Zacken in seiner Krone haben denn nun einen Riss?
Rösch: Na die zwei (lacht). Die Staffel war etwas unvorhersehbar. Und es war schön zu sehen, dass auch Bö nur ein Mensch und schlagbar ist. Es ist das gleiche Phänomen wie bei Denise Herrmann-Wick.
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Denise Herrmann-Wick ging in Oberhof im Einzel und im Massenstart die Puste aus

Fotocredit: Imago

Was meinen Sie damit?
Rösch: Beispiel Samstag: Eine Staffel dauert 1:20 Stunden. Die Athleten sind aber zwei Stunden vor dem Wettkampf im Stadion, dann folgen das Anschießen, das Warm-up und das Rennen. Aber damit ist es noch lange nicht vorbei.
Geben Sie uns gerne einen Einblick.
Rösch: Denise stand eine halbe oder Dreiviertelstunde vollkommen durchnässt in der Mixed Zone Rede und Antwort. Als sie bei mir vorbeilief, hat sie gesagt: "Ich habe keinen Bock mehr." Im Anschluss muss sie dann noch zur Pressekonferenz, zur Dopingkontrolle, zum Fotoshooting für die Medaillen. Die Sportler sind teilweise erst zwei, drei Stunden nach dem Wettkampf in der Unterkunft. Abends findet noch die Siegerehrung statt - und das ist bei allen Rennen, bei denen man eine Medaille gewinnt, das gleiche Prozedere.
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Biathlon-WM 2023: Johannes Thingnes Bö (Norwegen, l.) gratuliert Martin Ponsiluoma zu Silber, Weltmeister Sebastian Samuelsson kniet noch erschöpft am Boden

Fotocredit: Getty Images

Wie bei Bö, der alle sieben Wettbewerbe gelaufen ist und immer eine Medaille eingeheimst hat.
Rösch: Absolut. Der hat dieses Programm bei allen Rennen abgespult. Dann bist Du irgendwann einfach mal platt. Das geht auch an ihm nicht spurlos vorbei.
In der Staffel am Samstag holte er Silber, im Massenstart am Sonntag reichte es dann noch zu Bronze.
Rösch: Unter dem Strich hat er sieben Medaillen gewonnen und damit Rekorde gebrochen, es hat noch nie ein Mann geschafft, auch wenn er die sieben Goldmedaillen verpasst hat. Das ist schade, aber doch auch schön zu sehen, dass er ein Mensch und kein Außerirdischer ist.
Mein Bauchgefühl sagt mir , dass das Herrmann-Wicks letzte Saison gewesen ist.
Auch Denise Herrmann-Wick musste den Strapazen Tribut zollen.
Rösch: Sie hat in vielen Interviews erklärt, dass sie muskulär ausgelaugt ist. Am Ende herrschten mit den etwas tieferen Bedingungen auch nicht ihre Streckenverhältnisse. Sie ist groß, kräftig und konnte ihre Power nicht mehr komplett in den Schnee bringen. Und das gesamte Drumherum war schon krass. Umso beeindruckender fand ich, mit welcher Ausstrahlung sie in Oberhof unterwegs war. Sie war fokussiert und hatte dennoch immer ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Sie hatte diese Lockerheit. Dass sie trotz des ganzen Drucks an diesem einen Tag - genau wie 2022 bei Olympia - abgeliefert hat, war wirklich beeindruckend.
Mit 34 Jahren hat sie nun beinahe alles erreicht, wurde zwei Mal Weltmeisterin und Olympiasiegerin. Die Goldmedaille im Sprint bei der Heim-WM bezeichnete sie als "den Traum", der in Erfüllung ging. Gibt es einen besseren Moment, um aufzuhören?
Rösch: Die Frage wurde mir schon häufig gestellt (lacht). Um in die Hall-of-Fame aufgenommen zu werden, fehlt ihr noch der Gesamtweltcup. Irgendwann ist die Karriere aber zu Ende. Sie hat nun das Glück, theoretisch so abtreten zu können. Ich weiß nicht, ob sie aufhören möchte. Mein Bauchgefühl sagt mir aber, dass das ihre letzte Saison gewesen ist.
Mit der Staffel hat sie die Vizeweltmeisterschaft gewonnen. Zuletzt haben Sie Sophia Schneider und Hanna Kebinger sehr gelobt. Was bedeutet diese Silbermedaille nun für diese jungen Athletinnen?
Rösch: Sophia Schneider ist für viele eines der Gesichter der Weltmeisterschaft, was sich über die Saison aber ein bisschen angedeutet hat. Sie ist mit 25 Jahren kein Küken mehr, aber noch in einem super Alter. Das Talent war schon immer da. Dass sie nun bei einer WM in den schwereren Disziplinen so brilliert, ist eindrucksvoll. Sie macht Spaß, gibt coole und lockere Interviews. Da merkt man, dass sie vom Charakter gefestigt ist. Der Kopf ist bereit. Bei Hanna Kebinger muss man mal berücksichtigen, woher sie kommt.
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Schlussakt in Oberhof: Deutsche Damen-Staffel bekommt Silber

Die Garmisch-Partenkirchenerin ist in dieser Saison noch in unterklassigen Wettbewerben gelaufen.
Rösch: Auch sie ist mit 25 Jahren kein Küken mehr. Sie hat sich aus dem Deutschlandpokal über den IBU-Cup in den Weltcup gearbeitet. Und auf einmal ist sie Schlussläuferin in Antholz und startet bei einer Weltmeisterschaft. Das ist sehr beeindruckend. Auch sie ist ein Charakter. Sie hat Bock, die Einstellung und den Biss, sich hochzukämpfen. Die Jungen haben enorm Spaß gemacht.
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Michael Rösch gewann bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin Gold in der Staffel

Fotocredit: Getty Images

Ihre Medaillenzeremonie musste am Samstag aber verschoben werden. Stattdessen hat der DSV seine eigene Feier veranstaltet. Sie hatten zuletzt schon von der Atmosphäre geschwärmt. Was sagt diese Ersatz-Party über die Mannschaft aus?
Rösch: Das war sinnbildlich. Dass sich da Gedanken gemacht werden, ist Zeugnis eines tollen Teamgefühls. Man sieht, dass alle mitdenken. Die Mannschaft wirkte auf mich sehr homogen. Alle freuen sich miteinander. Auch Janina Hettich-Walz weint vor Freude über Staffel-Silber, obwohl sie selbst auch hätte mitlaufen können. Da haben alle einen großen Anteil.
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"Hab's gerochen": Rösch packt für Herrmann-Wick das goldene Sakko aus

Lassen Sie uns nochmal einen Bogen zum Anfang schlagen. Sie haben eingangs gesagt, dass der eindrücklichste Moment die Goldmedaille von Denise Herrmann-Wick war. Was passiert denn nun mit Ihrem goldenen Sakko?
Rösch: Da habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Wenn Sie mich so fragen: Vielleicht schenke ich es Denise (lacht). Ich habe ein Bild mit ihr, auf dem ich das goldene Sakko trage. Das rahme ich ein und lege das Sakko da hinein. Das ist eine schöne Idee.
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Highlights: Öberg im Massenstart ohne Nerven

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