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Michael Rösch exklusiv zur umstrittenen Startregel und die Chancen der deutschen Profis: "Die Last wird sich verteilen"
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Update 29/11/2024 um 16:50 GMT+1 Uhr
Der Weltcup sorgt schon vor dem Auftakt in Kontiolahti für erhöhten Pulsschlag bei Profis und Fans. Dabei steht nicht nur die Jagd auf die Gesamtweltcupsieger Johannes Thingnes Bö und Lisa Vittozzi im Fokus, sondern die ebenso neue wie umstrittene Startregelung. Wie der Biathlon-Winter verläuft, hängt aber an weiteren Faktoren. 2006-Olympiasieger Michael Rösch erklärt exklusiv, worauf es ankommt.
Kämpferin Preuß: "Noch habe ich die Motivation nicht verloren"
Quelle: Eurosport
"Fünf Norweger in den Top 5. Das sagt alles", konstatiert Michael Rösch beim Blick auf den Weltcup-Endstand des vergangenen Winters. Eine erdrückende Dominanz, die selbst Überflieger Johannes Thingnes Bö kritisch sieht. "Wir brauchen die Schweden, die Franzosen, die Deutschen, Alle", forderte der Ausnahmeathlet die Konkurrenz zu mehr Widerstand auf.
Doch es gibt Grund zum Optimismus. "Ich glaube und hoffe, dass wir in dieser Saison ein anderes Bild sehen", sagt Rösch im Exklusiv-Interview mit Eurosport.de. Er denke da in erster Linie an die Skijäger aus Frankreich und Schweden, wenngleich bei den Männern "in der Spitze weiterhin Norwegisch gesprochen" werde.
Zu wenig gesprochen hat indes die Internationale Biathlon-Union (IBU) mit den Sportlerinnen und Sportlern - und so zieht die Debatte um die neue Startgruppenregelung Kreise. "Die Kritik kann ich als ehemaliger Profi nachvollziehen. Auch, dass die Regelung als unfair empfunden wird", befindet Rösch, der die Modifikation aus seiner Sicht des TV-Experten bei Eurosport aber als "sensationell" einstuft.
Nimmt man das heikle Thema des Wachsens hinzu, das in seine zweite Saison ohne die verbotenen Fluorzusätze geht, steht fest, dass ein emotionaler und spektakulärer Biathlon-Winter bevorsteht. Ex-Profi Rösch nimmt die Topthemen unter die Lupe.
- Sechs heiße Themen für einen kalten Biathlon-Winter
1.) Alles Norwegen, oder was?
Bö vor Bö vor Dale-Skjevdal, Lagreid und Christiansen. "Bei den Männern kommst du an dieser Mannschaft nicht vorbei", betont Rösch. Der 41-Jährige rechnet aber nicht damit, dass sich in der Saison 2024/2025 wieder ein norwegisches Quintett an der Spitze des Gesamtweltcups finden wird - und die fünfte große Kristallkugel für Johannes Thingnes Bö sei alles andere als sicher. "Die Vorbereitung lief nicht wirklich gut. Die Sommer-Rennen waren nicht der große Bringer, dann hat man mal zwei, drei Monate gar nichts von ihm gehört. Zuletzt bei den Vorbereitungsrennen in Sjusjoen auf Schnee konnte er nicht überzeugen", gibt Rösch zu bedenken.
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König der Biathleten: Bö erhält große Kristallkugel
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Allerdings habe Bö "vor zwei Jahren auch nicht so stark ausgesehen, zwei Wochen später ging er dann beim Weltcup durch die Decke. Johannes ist wahrscheinlich der Einzige, der in derart kurzer Zeit Adaptionen vornehmen kann, die sofort funktionieren." Ein kleines Fragezeichen also steht hinter den Norwegern, wenngleich Vetle Sjastad Christiansen wortgewaltig in die Offensive ging und klarstellte: "Diejenigen von uns, die an Johannes zweifeln, sind dumm."
2.) Schön oder schädlich? Die neue Startregelung
Großer Aufschrei in der Szene: Im November und Dezember müssen die Top 15 der Weltcup-Wertung in die dritte Startgruppe und mit einer Nummer zwischen 46 und 75 das Rennen aufnehmen. Schmeckt vielen Topleute nicht, denn meist werden die Verhältnisse in der Loipe hinten raus schlechter. "Wir haben im Sommer eine Email bekommen von Daniel Böhm, der für die IBU arbeitet. Darin wurde die Änderung angekündigt und Daniel wollte Feedback einholen. Ich habe ihm dann geschrieben, dass ich die Idee aus meiner Sicht des TV-Experten sensationell finde. Es war in der Vergangenheit ja oft so, dass die Rennen nach 30 Startern entschieden waren", so Rösch.
Durch die neue Regelung rücke "das Feld aller Voraussicht nach enger zusammen, die Spannung wird steigen. Die vermeintlich Schwächeren, die natürlich immer noch gute Biathleten sind, haben im Normalfall aufgrund der früheren Startzeit etwas bessere Bedingungen in der Loipe - die Topleute entsprechend die etwas schlechteren. Wenn wir zum Skispringen oder der Entscheidung im Slalom schauen, dann starten dort die Besten zum Schluss. Da baut sich der Spannungsbogen schön auf, was ein Vorteil ist. Ich glaube nicht, dass wir mit der neuen Startgruppenregelung die TV-Zuschauer vergraulen, sondern dass wir einen positiven Effekt erleben", präzisiert der dreimalige WM-Bronzemedaillengewinner.
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Rösch erklärt die Action am Schießstand: Kaum Platz für Fehler
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Die Kritik aus dem Lager der Aktiven sei dennoch nachvollziehbar. Zumal die "Kommunikation etwas unglücklich gelaufen zu sein scheint. Die Sportlerinnen und Sportler haben Anträge gestellt, wurden nach eigener Aussage allerdings kaum oder gar nicht gehört."
Ein Sonderlob vergibt Rösch vor dem Hintergrund der neuen Startgruppenregelung an die Schweden. "Deren Trainer Johannes Lukas hält das neue System zwar nicht für ideal, nimmt es aber an und baut entsprechende Alternativ-Inhalte ins Training ein. Da geht es zum Beispiel ums Warmmachen auf Ergometern oder Laufbändern, wenn man beim Wettkampf lange auf seinen Start warten muss und keine Einlaufrunde hat", erläutert der Eurosport-Experte. Er wisse "aus eigener Erfahrung, dass es einen Unterschied macht, ob du dich vor dem Start auf Skiern warmgemacht hast und zügig loskannst, oder ob du spät ins Rennen einsteigst und dich zuvor nur zu Fuß vorbereiten konntest".
3.) Wundertüte Deutschland
Die Stars im Weltcup-Zirkus mögen andere Trikots tragen, die Auswahl des DSV aber hat das Potenzial für Überraschungen. "Bei den Frauen sehe ich Franzi Preuß und Vanessa Voigt als die Konstanten im Team. Aber auch Johanna Puff ist meiner Ansicht nach für eine Überraschung gut, Selina Grotian hat einen weiteren Schritt in die richtige Richtung gemacht. Dann haben wir die 19-jährige Julia Tannheimer, die toll gearbeitet und versucht hat, die Schießzeiten zu drücken. Mit Julia Kink steht dazu noch eine sehr junge Athletin im Kader. Ich denke, die haben alle Welpenschutz verdient", führt Rösch aus, der während seiner Karriere sowohl für Deutschland als auch Belgien an den Start ging.
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Voigt exklusiv: "Der Winter hat stark an meinen Kräften gezehrt"
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Den deutschen Männern attestiert der 41-Jährige "ein starkes, kompaktes Team". Durch den Rücktritt von Benedikt Doll werde sich "die Last wird sich ab sofort auf alle Schultern verteilen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass der beste Deutsche in diesem Winter Justus Strelow sein wird. Zum einen, weil er der stärkste Schütze im gesamten Weltcup ist, zum anderen, weil er läuferisch noch einmal was draufgepackt hat. Generell gehe ich davon aus, dass die deutschen Männer den Favoriten aus Norwegen, Frankreich und Schweden punktuell Paroli bieten werden."
4.) Hart, härter, Oberhof
Die härteste Strecke im Weltcup-Kalender? "Gar nicht so einfach zu beantworten", lacht Rösch, legt sich aber doch fest. "Wenn man die Laufzeiten nimmt, ist die schwerste Strecke jene in Oberhof. Zumal wir Östersund, wo es vor allem im Einzel sehr hart ist, dieses Mal nicht im Programm haben."
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Harter Tag für DSV-Damen in Oberhof: Highlights der Damen-Staffel
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Als "Scharfrichter in Oberhof" bezeichnet Rösch den "Birx-Steig. Es dürfte keinen längeren und schwereren Anstieg im Weltcup geben. Dazu ist er für Biathlon-Verhältnisse atypisch. Normalerweise hast du Strecken, bei denen es immer kurz hoch und dann wieder kurz runtergeht. Der Birx-Steig aber ist lang, da trennt sich die Spreu vom Weizen. Die Laufzeiten beim Sprint etwa sind mitunter fast zwei Minuten länger als bei anderen Weltcups. Hinzu kommt das häufig schlechte Wetter in Oberhof."
5.) Wer wachsen will, muss wachsen
Es ist eine Wissenschaft für sich, die Langlaufski zu präparieren. Seit der Saison 2023/2024 müssen die Techniker dabei ohne Fluor auskommen. Sorgte für mächtig Zündstoff. Inzwischen haben sich die Wellen etwas geglättet. "Ich würde sagen, dass sich inzwischen alle angepasst haben. Es wird nach wie vor Unterschiede geben. Vergangene Saison hatte das deutsche Team bei kalter Witterung in Östersund einen grandiosen Auftakt, später fanden Rennen unter wärmeren, weicheren Bedingungen statt. Da hatten dann die Mannschaften aus Norwegen oder Frankreich Vorteile", erinnert sich Rösch.
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Wierer zeigt italienischen Wachs-Truck: "Extreme Verbesserung"
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Über eine Saison aber werde "sich das ausgleichen. Klar ist, dass die Entwicklung der Wachse auch ohne Fluor immer weitergeht und man in dieser Hinsicht auf keinen Fall den Anschluss verpassen darf. Es ist und bleibt essenziell, dass du gutes Material hast", unterstreicht der Staffel-Olympiasieger von Turin 2006.
6.) Wem bekommt die Schweizer Höhenluft?
Die Luft wird dünn(er) im Kampf um WM-Edelmetall, denn: Die Titelkämpfe finden in diesem Winter in Lenzerheide statt, auf gut 1400 Metern Höhe in den Graubündner Alpen (12. bis 23. Februar 2025 live im TV bei Eurosport und bei discovery+). Eine besondere Herausforderung, nur in Antholz geht es noch höher (~1600 m) hinaus. Derartige Höhen, erklärt Rösch, seien "immer besonders. Es gibt Athleten, die kommen damit wunderbar zurecht, andere haben Probleme. Generell ist Lenzerheide etwas für die Laufstarken."
Was bedeutet das für die Chancen der deutschen Mannschaft? "Philipp Nawrath kam dort im letzten Winter beim Sieg von Benedikt Doll auf Platz drei im Sprint, Philipp Horn wurde Vierter, Johannes Kühn Sechster. Das zeigt, dass die DSV-Biathleten durchaus das Potenzial haben, in dieser Höhe das Podium zu erreichen. Die können da jetzt mit einem guten Gefühl und dem Wissen, dass ihnen der Ort liegt, hinfahren. Aus deutscher Sicht dürfen wir bei den Weltmeisterschaften auf eine positive Überraschung hoffen - und gerade in der Staffel der Männer scheint mir die Zeit reif, dass es mal wieder golden glänzt", schmunzelt Rösch.
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Nawrath optimistisch: "Sind in der Lage, um Gelb zu kämpfen"
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Strelow exklusiv: "Müssen jetzt Verantwortung übernehmen"
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