Australian Open: Was Alexander Zverev nach dem knappen Halbfinal-Aus für künftige Grand-Slam-Erfolge benötigt
Update 27/01/2024 um 23:24 GMT+1 Uhr
Nach der bitteren Niederlage im Halbfinale der Australian Open 2024 versuchte Alexander Zverev, Argumente für zukünftige Auftritte in den finalen Runden bei Grand-Slam-Turnieren herauszuarbeiten. Kurzfristig soll der Davis Cup als Ablenkung dienen. Langfristig macht seine physische Stabilität Hoffnung. Die teilweise offensivere Spielausrichtung darf aber nicht wieder verschwinden.
Dass tief in den zweiten Wochen von Grand-Slam-Turnieren oft nur Kleinigkeiten den Ausschlag geben zwischen großen Siegen und bitteren Niederlagen, diese Erkenntnis ist niemandem im Tennisbuisness wirklich neu. Am wenigsten dürfte sich Alexander Zverev selbst über diese Erkenntnis wundern.
2020 im Finale der US Open gegen Dominic Thiem war er im Tiebreak des entscheidenden fünften Satzes bereits lediglich zwei mickrige Zähler vom ersehnten Grand-Slam-Sieg entfernt.
Ein ähnliches Szenario präsentierte die Anzeigetafel damals auch zuvor bei 5:4, 30-15 im fünften Satz für Zverev und Aufschlag Thiem. Thiem verwandelte in der Folge einen starken ersten Aufschlag in einen Servicewinner und schlug zweimal mit vollem Risiko die Vorhand die Linie entlang zu Winnern.
Der Mut wurde wenig später belohnt.
Zverev: "Darauf werde ich hinarbeiten"
Zverev erinnerte am Freitag in Melbourne nach der Pleite gegen Daniil Medvedev an diese schwerste Niederlage vor dreieinhalb Jahren. Aber er erwähnte sie in einem für sich positiven Kontext. Dass dieser Halbfinaltag von Melbourne, so bitter er aus der Sicht des Olympiasiegers erscheinen mag, eben keine einmalige Gelegenheit war. "Einmalig würde ich jetzt nicht sagen. Beim US-Open-Finale war ich auch zwei Punkte entfernt", sagte Zverev.
Er sei sicher, wenn er die richtigen Sachen tue, die richtige Arbeit leiste, dass er dann nochmals so eine Chance bekommen werde. "Oder hoffentlich mehrmals die Chance bekommen werde. Darauf werde ich hinarbeiten", ergänzte der 26-Jährige.
Alexander Zverev hat in den vergangenen Jahren mehrmals betont, dass er noch sehr lange an diese Momente bei den US Open denken wird. Womöglich werden diese Gedanken erst dann nicht mehr in seinem Kopf herumgeistern, wenn er eine dieser vier großen Trophäen nach oben streckt. Nun gesellt sich die sechste Niederlage in einem Grand-Slam-Halbfinale im siebten Versuch hinzu. Nach dem besagten US-Open-Endspiel ist es Zverevs zweites verlorenes Match nach 2:0-Satzführung (66:2).
Zverevs Bilanz gegen Topspieler wird besser
Die Bilanz gegen Top-Spieler vermochte Zverev in Melbourne aufzuhübschen. Der Sieg gegen Carlos Alcaraz war der dritte Erfolg im 15. Versuch gegen einen der besten zehn Spieler bei einem Grand Slam; es war gar der erste Erfolg gegen einen der aktuell besten fünf Spieler der Welt. Nach der Niederlage gegen Medvedev steht Zverev nun 3:16. Seit den US Open 2023 liest sich die Bilanz mit 2:2 aber schon wesentlich besser.
Das liegt auch daran, dass Zverev gegen Jannik Sinner bei den US Open und noch konsequenter gegen Carlos Alcaraz hier in Melbourne sein bislang offensivstes Tennis zeigte. Die Statistiken zeigten eine viel dichtere Position zur Grundlinie, mehr Winner, mehr Serve &Volley und das Wichtigste: Gefühlt fiel die Vorhand gegenüber der Weltklasserückhand nicht mehr ab.
Erkältung kostete Zverev Energie
Das zeichnete Zverev auch in den ersten beiden Sätzen gegen Medvedev aus, bis die Erfolgen einer Erkältung Zverev nach eigenen Aussagen hinderten. "Nach dem Alcarazmatch habe ich mich nicht so gut gefühlt, die heutige Nacht hatte ich Fieber. Das kostet viel Energie. Dann habe ich mich zusammengerissen und mein Team hat einen sehr, sehr guten Job gemacht, mich auf den Platz zu bringen. Aber je länger das Spiel dauerte, desto schwieriger wurde es", erklärte der Weltranglisten-Sechste.
Dennoch war Zverev nach einem Doppelfehler Medvedevs im Tiebreak des vierten Satzes beim Stand von 5:4 erneut nur zwei Punkte vom Erfolg entfernt. "Bei 5:4 spielt er einen guten Punkt. Bei 5:5 ist es einfach unglücklich. Es war ja nicht gewollt, ein Returnstopp bei 210 Stundenkilometern. Das wird er auch zugeben. Das ist keine Raketenwissenschaft", erklärte Zverev.
Zverev war im Tiebreak zu passiv
Hatte er mit dem zweiten Teil seiner Erklärung recht, muss man objektiv betrachtet über den Punkt bei 5:4 sprechen. Weil es eben um genau diese klitzekleinen Kleinigkeiten geht auf diesem Niveau. Medvedev hatte in der Tat einen guten Punkt gespielt, aber nur, weil Zverev ihn gelassen hatte. Nach dem ersten Aufschlag spielte Zverev den Ball mehrmals nur rein, bis Medvedev die Initiative übernahm. Das hatten Matthias Stach und Boris Becker im Eurosport-Kommentar ebenfalls bemängelt. Es folgte der verunglückte Return Medvedevs und ein Ass. Das Glück des Tüchtigen also, das Medvedev half?
Augenscheinlich ist jedenfalls, dass Zverev damals bei den US Open wie heute in diesen Momenten lieber abwartend reagiert als agiert. Das ist immer noch sein Naturell und das klappt in den entscheidenden Momenten gegen viele Spieler dieser Welt sehr gut. So hatte er bis zum Alcaraz-Match bei den Australian Open eine Tiebreak-Bilanz von 5:1. Gegen Alcaraz und Medvedev gewann er keinen der drei folgenden Tiebreaks, was dafür spricht, dass eine noch mutigere Herangehensweise gegen die besten Spieler der Welt in den entscheidenden Momenten nötig ist.
Boris Becker zog dennoch ein positives Fazit: "Ich würde das Ganze wirklich positiv bewerten. Vor einem Jahr wussten wir noch nicht, ob oder wie seine Karriere weitergeht. Jetzt gehört er wieder zu den Besten der Welt und hatte die Riesenchance, ins Finale eines Grand Slams zu kommen. Das war ein ganz toller Start ins Jahr 2024."
Zverev möchte keinen Mentaltrainer
Einige Beobachter würden sich dennoch gerne kleine Anpassungen wünschen, wie etwa einen Mentalcoach an der Seite Zverevs. Keineswegs ist Zverev ein mental schlechter Spieler. Top ausgebildete Sportpsychologen sind in erster Linie dafür da, Nuancen aus Spitzensportlern herauszukitzeln. Zverev hat diese Idee aber öffentlich schon mehrmals verworfen.
Was bleibt, ist die kurzfristige Zukunft. Der verrückte Tenniskalender macht es notwendig, dass Zverev bereits in sechs Tagen am anderen Ende der Welt in Ungarn um Punkte für das deutsche Davis-Cup-Team kämpfen soll. Mit den Blutblasen aus sechs langen Grand-Slam-Matches sowie der hörbaren Erkältung wäre eine Absage nachvollziehbar. Zverev aber sagte: "Ich gehe davon aus, dass ich in Ungarn sein werde. Das ist momentan keine Frage für mich."
Ablenkung unter Nationalmannschaftskollegen als Medizin also für Zverev, der dieses Jahr unbedingt zu den Davis-Cup-Finals möchte. Damit könnte Zverev einer der wenigen Topstars sein, die nächste Woche für ihr Land aufschlagen werden.
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