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FC Bayern - Julian Nagelsmanns Schonzeit endet mit dem Champions-League-Aus: Sprachlos und doch aussagekräftig

Dennis Melzer

Update 14/04/2022 um 14:37 GMT+2 Uhr

Nachdem Julian Nagelsmann im Sommer beim FC Bayern übernommen hatte, war die Hoffnung groß. Die ersten Wochen erweckten den Anschein, als entstünde wieder etwas Großes beim Rekordmeister. Spätestens seit Dienstagabend ist klar: Nagelsmanns erste Saison in München ist keine rauschvolle Party, sondern ein klassisches Lehrjahr. Dass er diesen Umstand sehr wohl reflektiert, macht Mut für die Zukunft.

Bayern-Trainer Julian Nagelsmann

Fotocredit: Getty Images

Julian Nagelsmann gibt sich in der Öffentlichkeit nicht als unzugänglicher Grübler oder Grantler. Ganz im Gegenteil: Die Pressekonferenzen des 34-Jährigen warten stets mit einem gewissen Unterhaltungsfaktor auf. Zumeist gut gelaunt, immer mit einem lässigen Spruch auf den Lippen, gibt der Trainer des FC Bayern seine Sicht der Dinge zum Besten.
Am späten Dienstagabend trat ein anderer Julian Nagelsmann vor die anwesenden Pressevertreter. Schwermütige Aura, leerer Blick, beinahe zerbrechlich wirkte der gebürtige Landsberger, der normalerweise vor Energie sprüht. Die Sprachlosigkeit und Starrheit eines Entertainers.
Wer wollte es ihm verdenken? Nur wenige Augenblicke zuvor hatte seine erste Saison beim deutschen Rekordmeister mit einem lauten Knall quasi geendet.
Der späte Nackenschlag durch Villarreals Angreifer Samuel Chukwueze bedeutete das Aus im prestigeträchtigsten aller Vereinsfußball-Wettbewerbe - und das bereits im Viertelfinale, zu allem Überfluss gegen einen Kontrahenten, dem nur die wenigsten Fachleute im Vorfeld Chancen eingeräumt hatten, die großen Bayern zu Fall zu bringen.

Nagelsmanns knallharte Analyse: "Nicht ausreichend"

"Wenn man es zusammenfasst, haben wir das Duell im Hinspiel verloren", sagte Nagelsmann mit Blick auf das erste Aufeinandertreffen mit dem Gelben U-Boot in Spanien, das verdientermaßen 0:1 verloren ging. In München habe sein Team all das, was im Hinspiel vermisst wurde, auf den Platz gebracht, bezüglich der Einstellung und des Drucks könne er seiner Mannschaft keinen Vorwurf.
Am Ende bringe jedoch all das Gerede nichts, "weil wir ausgeschieden sind." Nagelsmann führte aus: "Wir sind im Pokal ausgeschieden und in der Champions League haben wir das gleiche Ergebnis erzielt wie in der letzten Saison (damals Viertelfinal-Aus gegen PSG, Anm. d. Red.). Das ist für Bayern München nicht ausreichend."
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Nagelsmann erklärt umstrittenen Wechsel: Darum kam Davies für Hernández

Die bittere Analyse einer ersten Saison, die so verheißungsvoll begonnen hatte. In den ersten Wochen seines Schaffens flog der FCB durch die Liga und die Champions League, fertigte unter anderem den FC Barcelona in dessen Heimspielstätte 3:0 ab.
Bayern entwickelte sich unter seinem neuen Coach zu einem veritablen Mitfavoriten auf den Henkelpott, Europas Top-Klubs blickten mit Besorgnis auf das, was da im Süden der Bundesrepublik einmal mehr zu entstehen schien.

Debakel in Gladbach als böse Prophezeiung?

Erste Risse im vermeintlich festen Fundament erhielt der Dauerdominator Ende Oktober vergangenen Jahres, als er in Bestbesetzung auf unerklärliche Weise 0:5 bei Borussia Mönchengladbach unterging und somit schon in der zweiten Runde des DFB-Pokals eines der drei großen Saisonziele abhaken musste.
Lediglich ein Betriebsunfall oder doch schon eine böse Prophezeiung? In der Folge kam es zu einem Wechselspiel aus beeindruckendem Hurra-Fußball, unspektakulären Arbeitssiegen und mysteriösen Leistungsabfällen (1:2 gegen den FC Augsburg, 2:4 gegen den VfL Bochum).
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Der FC Bayern verlor bei Aufsteiger VfL Bochum 2:4

Fotocredit: Getty Images

Mit Ausnahme des 7:1 im Achtelfinal-Rückspiel gegen Red Bull Salzburg war in den vergangenen Wochen nicht mehr viel übrig von der rauschenden Party des Saisonbeginns. Besonders die Unzulänglichkeiten in der Defensive und die Konteranfälligkeit sorgten für Kritik.
Es brodelte mal wieder – auch neben dem Platz. Die ungeklärte Zukunft der Stars um Manuel Neuer, Thomas Müller und Robert Lewandowski, Niklas Süles ablösefreier Abgang nach Dortmund im kommenden Sommer und damit verbundene Berichte über mangelnde Wertschätzung, zuletzt der Wechselfehler in Freiburg mit anschließendem Einspruch der Breisgauer gegen die Spielwertung (das 4:1 der Bayern blieb schließlich bestehen).

Willkommen beim FC Bayern

Nur kurz vor dem Rückspiel gegen Villarreal sorgten Berichte für Wirbel, wonach Lewandowski sich mit dem FC Barcelona auf einen Transfer verständigt habe. Unruhestiftendes Dauerrauschen. Willkommen beim FC Bayern.
Neben den sportlichen Rückschlägen und den daraus gezogenen Schlüssen dürfte in Nagelsmann die Erkenntnis gereift sein, dass bei den Bayern alles etwas größer, lauter, aufgeregter ist als bei seinen vorherigen Klubs TSG Hoffenheim und RB Leipzig. Auch das gehört zum ersten Lehrjahr.
Umso beachtlicher, dass Nagelsmann all das Tamtam, das bei Bayern traditionell herrscht, ausblendet und sich nach dem Aus in der Königsklasse selbstkritisch gibt. Auf Nachfrage, ob das ständige Thematisieren von Vertragsgesprächen und anderen Nebengeräuschen die Spieler auf dem Rasen negativ beeinflusse, erklärte er: "Das wäre mir aus meiner Sicht zu viel Alibi, das bin nicht ich."

Nagelsmann: "Gebe niemandem die Verantwortung"

Nagelsmann weiter: "Die Verantwortung wegzuschieben, ist in diesem Sport sehr populär. Ich mache das nicht. Ich gebe niemandem die Verantwortung dafür, dass irgendetwas gefehlt hat, sondern ziehe taktisch und spielermäßig meine Lehren. Aber wenn ich eines nicht mache, dann irgendjemandem die Schuld zu geben, dass irgendwelche Vertragsgespräche noch nicht finalisiert sind."
Es sind auch solche Aussagen, die unverblümte Selbstkritik, die den FC Bayern dazu veranlasst haben, Nagelsmann mit einem Fünfjahresvertrag auszustatten. Obwohl seine Premierensaison rein titeltechnisch weniger erfolgreich zu Ende geht als beispielsweise Niko Kovacs erste Spielzeit in München (Kovac gewann das Double, Anm. d. Red.), wird Nagelsmann intern wie extern weniger kritisch gesehen als sein Vorvorgänger. Kurz gesagt: Er genießt trotz allem vollumfängliches Vertrauen.

Die Schonzeit ist vorbei, aber ...

Dennoch: Die Schonzeit für Nagelsmann fand am Dienstagabend in der Allianz Arena ein jähes Ende. Es liegt allerdings nicht nur an ihm, die richtigen Lehren aus dem krachenden Scheitern am Dienstagabend zu ziehen. Auch die Verantwortlichen Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic und Herbert Hainer müssen ihre Arbeit in puncto Kaderzusammenstellung zwingend hinterfragen.
Gehen sämtliche Protagonisten ähnlich reflektiert zu Werke wie der Trainer, dürfte einer langfristigen und erfolgreichen Zusammenarbeit nicht viel im Wege stehen – und Julian Nagelsmann sein Lachen zurückgewinnen.
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Nagelsmann nach CL-Aus: "Nicht die Schuld beim Gegner suchen"

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