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Novak Djokovic: Ego-Shooter oder Visionär?

Tobias Laure

Update 27/11/2020 um 15:05 GMT+1 Uhr

Novak Djokovic führt das Herren-Tennis als Nummer eins der Welt an. Der Serbe prägte die Saison mit dem Australian-Open-Titel, den Erfolgen bei den Masters-Events von Rom und Cincinnati sowie dem Triumph in Dubai. So unumstritten seine sportliche Klasse ist, so umstritten sind die Projekte und Ansichten des 33-Jährigen außerhalb des Courts. Ist Djokovic nun ein Visionär oder ein Ego-Shooter?

Superstar mit Ecken und Kanten: Novak Djokovic

Fotocredit: Getty Images

Als der Skandal seinen Höhepunkt erreicht hatte, griff sogar die Regierung ein.
Der Grund: Es galt, Novak Djokovic, den derzeit wohl berühmtesten Sohn Serbiens, in Schutz zu nehmen. Der Tennis-Star hatte während der Corona-Pandemie mit der von ihm initiierten Adria Tour eine Welle der Kritik losgetreten. Die Bilder, die da aus Zagreb um die Welt gingen, waren in der Tat höchst fragwürdig.
Volle Tribünen, keine erkennbare Abstandsregelung, wild feiernde Spieler in einer Diskothek - und mit dem Coronavirus infizierte Profis wie Grigor Dimitrov, Borna Coric, Viktor Troicki oder Djokovic selbst. Der Sturm der Entrüstung war derart massiv, dass Djokovic zwischendurch von einer "Hexenjagd" sprach.
Serbiens Premierministerin Ana Brnabic nahm den Eklat rund um das Charity Event schließlich auf sich. "Es ist unsere Schuld, wir haben die Einschränkungen aufgehoben. Er hat versucht, etwas Gutes für die ganze Region zu tun", so die Politikerin gegenüber "PinkTV".
Djokovic habe "nicht etablierten Spielern helfen und Geld für humanitäre Organisationen spenden" wollen, so Brnabic.
Der 33-Jährige hatte ebenfalls immer die charitative Seite seines Projekts in den Vordergrund gestellt - musste sich aber genau so oft den Vorwurf des Egoismus gefallen lassen. Unter den Kollegen und Kolleginnen waren die Reaktionen gemischt.

Djokovic fehlt beim Video-Meeting

Nick Kyrgios etwa übte scharfe Kritik an der Adria Tour, die Schweizerin Timea Bacsinszky monierte gegenüber "sportskeeda", dass der Tennissport sich "einen schlimmeren Vorfall" nicht hätte leisten können.
Von Gilles Simon, Donna Vekic oder Trainer-Legende Niki Pilic gab es dagegen Rückendeckung. "Nur auf Novak einzuprügeln, ist zu einfach. Natürlich lief nicht alles perfekt. Mussten es wirklich 4000 Zuschauer sein?", so Pilic gegenüber dem "Münchner Merkur".
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Intensives Duell über vier Stunden: Die Highlights zum Djokovic-Triumph

Darüber hinaus zog sich Djokovic den Unmut der Szene zu, nachdem er im Juni an einem Video-Meeting zur aktuellen Lage im Tennis mit rund 400 Spielern, Trainern und Funktionären nicht teilgenommen hatte.

Millionenspende durch Familie Djokovic

Dennoch kann Djokovic für sich in Anspruch nehmen, schon früh etwas gegen die Corona-Krise unternommen zu haben. Ende März spendet der Superstar zusammen mit Frau Jelena eine Million Euro zur Anschaffung von medizinischer Ausrüstung und Hilfsmitteln in seinem Heimatland. Anfang Juli wurde bekannt, dass er der von der Pandemie besonders schwer getroffenen Stadt Novi Pazar mehr als 40.000 Euro gespendet hat.
Djokovic im Hinblick auf die Adria Tour und sein Verhalten puren Egoismus vorzuwerfen, greift zu kurz. Fakt ist aber auch: Das Image von Djokovic ist seit den Vorfällen nachvollziehbar stark beschädigt.
Umso erstaunlicher, dass sich der Weltranglistenerste nur wenige Monate später erneut bewusst unters Brennglas der Sport-Öffentlichkeit begab - mit einem weiteren hoch umstrittenen Projekt: der Gründung der Professional Tennis Players Association (PTPA) einen Tag vor Beginn der US Open.
Ein Zeichen, das von vielen als direkter Angriff auf die ATP verstanden wurde. Zumal Vasek Pospisil, neben Djokovic eines der Gründungsmitglieder, betonte, dass "bei den gegenwärtigen Strukturen der ATP es dem Spielerrat unmöglich ist, Einfluss auf die wirklich wichtigen Entscheidungen zu nehmen."
Djokovic und seine Mitstreiter traten damit in direkte Konkurrenz zur ATP, die einen Player's Council unterhält, dem der Serbe eine Zeit lang sogar als Präsident vorstand. Dieses Amt legte der 17-fache Grand-Slam-Turniersieger schließlich nieder.

Federer und Nadal kritisieren Djokovic

Mit der Art und Weise sowie dem Zeitpunkt der Gründung brachte Djokovic auch Roger Federer und Rafael Nadal gegen sich auf. "Die Welt ist derzeit in einer schwierigen Situation. Ich persönlich denke, dass wir in diesen Zeiten gemeinsam in die gleiche Richtung gehen sollten. Es ist Zeit für Einheit, nicht für Spaltung", wies der Spanier den Serben via Twitter zurecht. Federer sah es ähnlich, es sei vor allem "wichtig für uns, als Spieler zusammenzustehen".
Tennis-Legende Martina Navratilova ging noch einen Schritt weiter und warf Djokovic in der "Irish Times" direkt vor, die Tennis-Szene spalten zu wollen. "Das hilft auf keine Art und Weise. Mache so etwas, wenn du mit dem Tennis aufhörst, aber es ist kontrovers und nicht hilfreich", polterte die 18-malige Grand-Slam-Turniersiegerin.
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Rafael Nadal (links) und Roger Federer (rechts) ziehen am gleichen Strang

Fotocredit: Getty Images

Allerdings gab es auch positive Reaktionen auf die PTPA. Der deutsche Davis-Cup-Teamchef Michael Kohlmann erklärte im Eurosport-Podcast "Das Gelbe vom Ball", dass es nachvollziehbar sei, wenn "die Spieler sich zusammentun, um sich stärker zu vertreten. Die Idee als solche ist eine gute Sache", bekräftigte der 46-Jährige. Der Zeitpunkt freilich sei unglücklich gewählt gewesen.

Eklat: Djokovic schießt Linienrichterin ab

Keine zehn Tage später bestimmte Djokovic erneut die Schlagzeilen, dieses Mal allerdings unfreiwillig. Im Achtelfinale der US Open gegen den Spanier Pablo Carreño Busta wurde der Turnierfavorit im ersten Satz disqualifiziert, nachdem er einen Ball wegdrosch und dabei versehentlich eine Linienrichterin am Hals traf.
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Unfassbare Szene! Dieser Aussetzer kostet Djokovic die US Open

Es war das 27. Match für Djokovic in diesem Jahr - und das erste, das er nicht als Sieger beendete. Wieder rollte die mediale Welle über den Tennisstar hinweg. Eurosport-Experte Boris Becker, der Djokovic drei Jahre lang trainiert hatte, sprach vom "möglicherweise schwersten Moment" in der Laufbahn des Ausnahmespielers.
Man muss dem Gescholtenen zugute halten, dass er die Linienrichterin tags darauf gegen die Anfeindungen verblendeter Fans verteidigte. "Sie hat überhaupt nichts falsch gemacht. Ich bitte euch, sie in diesem Moment zu unterstützen und liebevoll zu sein", twitterte Djokovic.
Selbstverständlich trug auch diese Episode nicht dazu bei, die Sympathiewerte des Serben in die Höhe schnellen zu lassen.
Eines aber kann Djokovic niemand vorwerfen: Dass er nicht seine Meinung sagt, sei sie auch noch so polarisierend.

Djokovics Impf-Aussagen polarisieren

So geschehen im Juni, als der Branchenprimus sich gegen eine mögliche Impfpflicht aufgrund des Corona-Virus' aussprach. "Ich persönlich bin gegen Impfungen. Ich möchte nicht, dass mich jemand zwingt, einen Impfstoff einzunehmen, um reisen zu können", teilte Djokovic seiner Anhängerschaft auf Facebook mit. Zuvor waren Debatten aufgeflammt, ob es im globalen Tennissport den Profis nicht zur Auflage gemacht werden soll, sich zu impfen.
Er kenne "einige Leute, die durch energetische Transformationen, durch die Kraft von Gebeten, durch die Kraft von Dankbarkeit, das giftigste Essen oder vielleicht das giftigste Wasser in das Wasser mit der größten Heilkraft verwandelt haben", hatte Djokovic im Instagram-Live-Chat mit dem selbst ernannten Alchemisten Chervin Jafarieh erklärt sich dabei offenbar auf Erkenntnisse des 2014 verstorbenen Parawissenschaftlers Masaru Emoto bezogen.
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Streit zwischen Federer, Nadal und Djokovic: Becker sieht "Mehrheit für Novak"

Kritik musste sich Djokovic aber nicht deshalb gefallen lassen, weil er sich einer spirituellen Welt zuwendet, die bei vielen Menschen auf Ablehnung trifft. Vielmehr stören sich die Kritiker daran, dass er diese Weisheiten in Zeiten der Corona-Pandemie über seine sozialen Netzwerke einem riesigen Fan-Publikum nahelegte. Auf Facebook hatte Djokovic zu der Zeit 8,7 Millionen Follower, auf Facebook waren es knapp sieben Millionen, auf Instagram 7,3 Millionen.

"Verantwortlich, Themen anzusprechen"

Djokovic erkannte immerhin, dass er sich wohl ein wenig vergaloppiert hatte und gestand im Podcast "Wish & Go". ein: "Manchmal sage ich Dinge und wenn ich danach darüber nachdenke, wird mir klar, dass ich sie nicht so hätte formulieren sollen, wie ich es getan habe."
Generell aber will Djokovic seiner Linie treu bleiben. Er habe "das Recht dazu" und fühle sich überdies "verantwortlich, Themen anzusprechen, die die Tenniswelt betreffen".
Vor wenigen Tagen bei den ATP Finals in London positionierte sich der Superstar erneut klar und vertrat eine Meinung, die nicht unbedingt die Zustimmung der Mehrheit fand. Es ging um die heiß diskutierte Frage, ob das Best-of-five-Format bei Grand-Slam-Wettbewerben gekippt werden soll oder nicht?
"Ich bin ein Verfechter des Best-of-three bei allen Turnieren, auch wenn Grand-Slam-Events immer im Best-of-five ausgespielt wurden. Für mein Gefühl haben wir aber genug Turniere und Matches während des Jahres. Der Tennissport hat die längste Saison aller Sportarten und dauert vom 1. Januar bis Ende November", befand Djokovic. Eine Meinung, die immerhin Daniil Medvedev teilte.
Ist Novak Djokovic nun ein Visionär, der die Entwicklung seines Sports vorantreiben will, oder doch eher ein Egozentriker? Eine eindeutige Antwort kann es auf diese Frage nicht geben. Es ist aber wohl so, dass von beidem etwas in der Nummer eins der Welt steckt.
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Kohlmann: Darum wird Djokovic jetzt noch gefährlicher für Nadal

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