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WM 2022: Nationalmannschaft beklagt "Vollkatastrophe" gegen Japan - die Brandherde bei Deutschland

Florian Bogner

Update 24/11/2022 um 14:52 GMT+1 Uhr

Deutschland verliert auch das Auftaktspiel der WM 2022 und legt mit dem 1:2 gegen Japan einen Offenbarungseid an zwei Fronten ab. Defensiv wackelig, offensiv nicht effizient - so droht bereits am Sonntag gegen Spanien das WM-Aus. Ehemalige Nationalspieler wie Bastian Schweinsteiger, Michael Ballack und Lothar Matthäus schlagen Alarm. Jetzt müssen einige Brandherde schnell gelöscht werden.

Rüdiger ätzt: "Das 2:1 ist lachhaft"

Im Khalifa International Stadion in ar-Rayyan feierte die japanische Nationalmannschaft noch ausgelassen, da wurden von deutschen Fußballexperten schon harte Urteile gefällt.
"Wir haben heute die nackte Wahrheit gesehen", analysierte Bastian Schweinsteiger in der "ARD" das Versagen der deutschen Nationalmannschaft beim WM-Auftakt gegen Japan: "Wir haben verdient verloren, weil wir es nicht geschafft haben, unsere Fehler abzustellen."
0:1 gegen Mexiko 2018, 0:1 gegen Frankreich 2021, jetzt 1:2 gegen die Blue Samurai - the artist formerly known as Turniermannschaft leistete sich bereits zum dritten Mal in Folge einen Fehlstart bei einem großen Turnier.
"Man hat gemerkt, dass der ein oder andere Spieler zu wackeln anfängt. Das muss ganz anders sein", kritisierte Kapitän Manuel Neuer: "Andere Mannschaften können uns noch besser anlaufen als die Japaner. Dass es hier schon ins Bröckeln gerät, ist dramatisch. Das ist für uns eine Vollkatastrophe."

Flick bucht die "BVB-Experience"

Gegen die furios aufspielenden Spanier (7:0 gegen Costa Rica) droht nun am Sonntag (20:00 Uhr im Liveticker) bereits das Aus.
Fünf Tage bleiben Bundestrainer Hans-Dieter Flick, die große Blamage - ein so vorzeitiges WM-Ausschneiden gab's noch nie - abzuwenden. Fünf Tage, in denen er gleich mehrere Brennpunkte angehen muss.
Zunächst einmal die Defensive. Niklas Süle und Nico Schlotterbeck als Schuldige bei beiden Gegentoren - Bundestrainer Hans-Dieter Flick hatte sich mit seiner Aufstellung sehenden Auges die "BVB-Experience" gebucht, wie ein User treffend bei Twitter schrieb.
Vor dem 1:1 machte Süle einen Druck auf Kaoru Mitoma, blieb zu passiv (75.). Beim 1:2 hob der Aushilfsrechtsverteidiger das Abseits auf. Schlotterbeck dagegen ließ sich vom Torschützen Takuma Asano abkochen, joggte gefühlt nur nebenher (83.).
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Flick analysiert Niederlage: "Wut ist nicht angebracht"

Schweinsteiger schießt sich auf Süle ein

Dafür hagelte es intern wie extern harte Kritik. "Das 2:1 ist lachhaft", befand Abwehrchef Antonio Rüdiger. "Ich weiß nicht, ob bei einer Weltmeisterschaft jemals ein einfacheres Tor erzielt wurde", schimpfte Ilkay Gündogan: "Das darf nicht passieren. Wir sind hier bei der WM."
"Wir haben bis zum Ende nicht gut verteidigt", sagte Kapitän Manuel Neuer. Und Bundestrainer Flick meinte: "Das sind individuelle Fehler, für die wir büßen mussten. Das darf einfach nicht passieren. Das müssen wir abstellen."
2014er Weltmeister Schweinsteiger schoss sich derweil richtiggehend auf Süle ein. Schon beim 1:1 habe sich der Dortmunder "ganz, ganz schlecht" verhalten: "Das war für einen Verteidiger nicht gut genug. Das ist ein klassischer, richtig schwerer Abwehrfehler."
Vor dem 1:2 müsse Süle hingegen "sehen, dass er da rausschieben muss. Der Fehler darf einem Außenverteidiger nie passieren", so Schweinsteigers Urteil, dem mit Sami Khedira ein weiterer Weltmeister zustimmte: "Das ist ein ganz krasser Fehler. Du musst dich immer an den Innenverteidigern orientieren."

Ballack sieht generelles Defensiv-Problem

Der langjährige DFB-Kapitän Michael Ballack sah aber auch ein generelleres Problem im DFB-Team. "Wir haben grundsätzlich ein großes Abstimmungsproblem und in der Verantwortung der Defensive. Das ist unser großes Defizit", sagte er bei "MagentaTV".
Dass sich Deutschland nach 1:0-Führung so die Butter vom Brot nehmen ließ, konnte er nicht verstehen und begründete es mit fehlendem Willen zur Defensivarbeit. Es sei "doch nicht schlimm, mal zu verteidigen. Dann müssen wir so ein Spiel eben mal 1:0 gewinnen", so Ballack.
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Neuer bedient: "Total frustriert und verärgert"

Die Abstimmungsprobleme hätten viel weiter vorne begonnen, die letzte Linie sei allein gelassen worden. "Die Stürmer stehen viel zu hoch. Es sind noch zehn Minuten zu spielen, da komme ich eben mal zurück, dopple die Außen und helfe Süle. Wir machen dafür immer Einzelne verantwortlich, aber es zieht sich durch die Mannschaft. Jeder kann einen Schritt mehr tun", kritisierte der Vize-Weltmeister von 2002.

Neues Personal in der Abwehr?

Neuer bemängelte aber auch das Spiel von hinten heraus. "Wenn man keine Pässe mit Aussage nach vorne gibt, kommt die Retourkutsche. Das haben wir uns selbst eingebrockt", tadelte er. Als Japan aggressiver anlief, hatte man nicht mehr "die Ruhe, hinten rauszuspielen". Es habe aber auch an "Tempo, Positionierung, Selbstvertrauen" gefehlt.
Mit Spanien wartet am Sonntag ein noch viel größeres Kaliber auf die Nationalmannschaft. Zuletzt verlor man vor ziemlich genau zwei Jahren in der Nations League 0:6 gegen die Furja Roja. Flick muss sich ganz genau überlegen, ob er die Viererkette so belässt.
"Ich stehe immer zu Hansi, aber ich habe in dem Spiel einiges nicht verstanden", kritisierte Lothar Matthäus per "Bild": "Der Bundestrainer muss sich Fragen gefallen lassen. Zum Beispiel die nach der Aufstellung der Außenverteidiger. Warum spielt Kehrer nicht, der zuletzt immer gespielt hat? Die Gegentore fielen über Außen. Süle ist kein Außenverteidiger."
Als Alternativen bieten sich neben West-Ham-Abwehrmann Kehrer auch noch die Freiburger Matthias Ginter (innen) und Christian Günter (links) an. Eine Rückkehr von Joshua Kimmich auf die Rechtsverteidigerposition - so wie Bayern unter Flick 2020 den Champions-League-Titel holte - hält hingegen Ballack für opportun. Dann könnte Leon Goretzka im Mittelfeld beginnen.

Die Offensive versagt

Vorne lief es aber auch nicht besser. 26 Schüsse feuerte das DFB-Team in Richtung Japan-Tor, die Qualität aller Möglichkeiten ergab einen "Expected-Goals"-Wert von 3,08 (Japan: 1,46) - das Ergebnis konterkarierte das jedoch, Deutschland traf einzig per Elfmeter (Gündogan, 33.).
Mit dem Offensivgestirn, bestehend aus Serge Gnabry, Thomas Müller, Jamal Musiala und Kai Havertz griff Flick ziemlich ins Klo. Während Gnabry und Musiala oft glücklos abschlossen, strahlten Havertz und Müller null Torgefahr aus. Von den 26 Torschüssen des DFB-Teams gab die "Front Four" nur neun ab, sechs davon Gnabry. "Das zwingende Wollen fürs zweite Tor hat gefehlt", meinte Neuer.
Müller nach 42 Tagen ohne Startelfeinsatz bei Bayern in einem WM-Spiel in die Startelf zu werfen, war ein Wagnis, das nicht aufging - auch wenn der Bayern zumindest ein paar Bälle gut für die Nebenmänner prallen ließ (drei Torschussvorlagen). "Am Ende müssen wir uns die mangelnde Effizient ganz klar vorwerfen", sagte der 33-Jährige selbstkritisch.
"Wir haben uns ein paar Chancen sehr gut rausgespielt und dann hat die Effizienz gefehlt. Da war Japan heute ganz klar stärker als wir", meinte Flick.

Japans Joker besser als die deutschen

Auch im Zusammenspiel war viel Luft nach oben. Müller spielte zum Beispiel Havertz keinen einigen Ball zu. Teilweise standen die Offensiven mit vier Mann in vorderster Linie, den Ball forderte aber keiner. "Man hatte nicht das Gefühl, dass jeder den Ball unbedingt haben wollte", kritisierte Gündogan offen.
Zweites Problem: Die Wechsel machten die deutsche Offensive gefühlt noch schlechter. Während Japan durch die Hereinnahme von Kaoru Mitoma, Takumi Minamino, Doan und Asano erst so richtig griffig wurde, verpufften Flicks Wechsel total.
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Verdiente Niederlage: Müller äußert sich selbstkritisch

Einzig Leon Goretzka zeigte ein wenig Zug zum Tor (90.+5). Jonas Hofmann, Niclas Füllkrug, Mario Götze und Youssoufa Moukoko blieben in ihren wenigen Einsatzminuten blass. "Die Auswechslungen waren auch nicht glücklich", fasste es Matthäus zusammen.
Flick muss sich hinterfragen, ob ein nur halb spielfitter Müller mit nur zwei Pässen ins Angriffsdrittel und lediglich vier Ballaktionen im gegnerischen Strafraum der Mannschaft nützt.

DFB-Team jetzt schon "mehr als extrem unter Druck"

Ferner steht die Frage nach einem Mittelstürmer im Raum, der Abwehrspieler ganz anders beschäftigt, als es Havertz kann - Oman-Siegtorschütze Füllkrug wäre hier die erste Alternative. Gegen Japan brachte er nach seiner Einwechslung in der 79. Minute immerhin noch einen Kopfball neben das Tor zustande (90.).
Unterm Strich muss gegen Spanien eine exorbitante Leistungssteigerung her. "Wenn wir gegen Spanien so spielen wie in der zweiten Halbzeit, dann scheiden wir aus", sprach es Matthäus glasklar aus. Die Nationalmannschaft stehe jetzt schon "mehr als extrem unter Druck. Sie ist zum Siegen verdammt! Nur ein Punkt wird höchstwahrscheinlich zu wenig sein."
Im DFB-Quartier muss man nun aber erstmal die Scherben zusammenkehren. Die Niederlage sei für die Spieler laut Müller "sportlich relativ einfach zu analysieren, aber emotional schwer zu verpacken". "Das ist eine absolute Enttäuschung. Wut ist hier nicht angebracht, wir müssen letztendlich alles bei uns lassen. Wir brauchen einen klaren Kopf die nächsten drei Tage", sagte Flick.
Gegen Spanien müsse man nun "zeigen, welch Potenzial in der Mannschaft steckt", forderte Neuer. Ob das aber wirklich ausreichend ist, um Spanien in Verlegenheit zu bringen, darf nach den tristen Eindrücken vom Dienstag arg bezweifelt werden.
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"Nicht gut genug!" Gündogan bemängelt fehlende Coolness

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