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Players' Voice: Lars Burgsmüller - Der erste Gegner von Rafael Nadal bei den French Open, der heute Arzt ist

Eurosport
VonEurosport

Update 24/05/2024 um 11:57 GMT+2 Uhr

Rafael Nadal schickt sich an, ein letztes Mal bei den French Open anzutreten. Begonnen hat für den "King of Clay" in Paris alles 2005 mit einem Match gegen den Deutschen Lars Burgsmüller. 6:1, 7:6 (7:4), 6:1 lautete Nadals erstes Ergebnis in Roland-Garros. Für Eurosport.de blickt Burgsmüller, der heute Arzt ist, in der Rubrik Players' Voice auf ein im Nachhinein denkwürdiges Match zurück.

Wie alles begann: Nadal und sein erster Titel 2005

Lindgrünes, ärmelloses Shirt, weiße Dreiviertelhose, weißes Stirnband. Rafael Nadals Outfit ist von Beginn an ikonisch, als er 2005 in Roland-Garros die Szenerie betritt. Ein Turnier, das dem damals erst 18 Jahre alten Mallorquiner zum Weltruhm verhelfen wird. Nur weiß das in diesem Erstrundenmatch noch keiner.
Ihm gegenüber steht an diesem Tag: Lars Burgsmüller. Weinrotes Shirt, weiße Tennishose, weißes Schweißband am rechten Handgelenk. Ein 29 Jahre alter Deutscher, der in der Weltrangliste auf Rang 96 steht und sich sichtlich bemüht, der Naturgewalt namens Nadal die Stirn zu bieten. Vergeblich.
Obwohl Burgsmüller vor allem im zweiten Satz seine Chancen hat, verliert er. 1:6, 6:7 (4:7), 1:6 heißt es am Ende. Für den Deutschen eine Enttäuschung. Für Nadal aber der Kickstart in eine atemberaubende Karriere. Knapp zwei Wochen später wird der Spanier erstmals die Siegertrophäe der French Open in den Himmel recken. 13 weitere Titel werden in Paris folgen, 21 Grand-Slam-Titel insgesamt.
Während sich Nadal 2024 ein letztes Mal anschickt, seinem Ehrentitel "King of Clay" in Paris gerecht zu werden, ist Burgsmüller mittlerweile Doktor der Medizin und arbeitet an einem Klinikum in Essen in der Radiologie. Für Eurosport.de erzählt er seine Geschichte.
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Lars Burgsmüller

Fotocredit: Getty Images

Von Lars Burgsmüller

Hallo liebe Tennisfreunde,
Dass Rafael Nadal einmal der 'King of Clay' sein würde - diese Dimension hatte damals keiner auf dem Schirm. Ich auch nicht. Für mich war es zunächst mal 'nur' ein Erstrundenmatch bei einem Grand Slam gegen einen 18-Jährigen aus Spanien.
Keine Frage: Man hat auch schon 2005 viel über Nadal gesprochen. Ich selbst hatte ein Jahr vorher in Indian Wells das für mich zweifelhafte Vergnügen, gegen ihn zu spielen (2:6, 3:6, Anm. d. Red.). Ich hatte also schon hautnah zu spüren bekommen, dass er das nächste große Ding im Tennis werden könnte. Dass er jedoch eine solche Karriere hinlegen würde, damit hat er wohl selbst zu dem Zeitpunkt nicht gerechnet. Und mir war natürlich auch nicht die Dimension bewusst, die sie im Nachhinein annehmen würde - mit Nadals 14 Turniersiegen in Roland-Garros. Damals war ich nur genervt. Verloren. Verdammt.
Meine Strategie war, dass ich für meine Verhältnisse riskant spielen wollte. Ich wusste, ich kann keine langen Ballwechsel mit ihm eingehen. Da würde ich untergehen.
Als wir ein Jahr zuvor in Indian Wells aufeinandergetroffen sind, kannte ich ihn noch nicht wirklich. Ich muss sagen: Ich war ziemlich beeindruckt von diesem jungen Spieler, der jeden Ballwechsel so spielt, als ob man im fünften Satz wäre. Ich weiß noch, dass ich das als Gegner fast schon ein bisschen nervig fand. Diese Intensität, diese Wucht hat mich überrollt.
Für die French Open war ich also gewarnt. Meine Strategie war, dass ich für meine Verhältnisse riskant spielen wollte. Ich wusste, ich kann keine langen Ballwechsel mit ihm eingehen. Da würde ich untergehen. Ich erinnere mich, dass wir auf einem der großen Plätze gespielt haben, wenn auch nicht auf dem Center Court. Ich weiß auch noch: Wären zwei, drei Dinge besser gelaufen, hätte ich vielleicht den zweiten Satz gewinnen können. Ich war im Tiebreak 3:1 vorne, habe ein paar leichte Fehler gemacht. Mit ein bisschen mehr Glück ... Doch als ich den Tiebreak verloren hatte und 0:2-Sätze in Rückstand lag, war mir klar: Jetzt wird es sauschwer.
Wenn man gegen Nadal einen Punkt macht, hat man im Ballwechsel eigentlich schon viel früher das Gefühl, dass man ihn gewonnen hat. Dann muss man ihn nochmal gewinnen. Und oft noch ein drittes Mal. Das schlaucht. Wenn man selbst dazu noch mit viel Risiko spielt, was man gegen Rafa ja muss, hat das auch seine Kehrseiten. Manchmal habe ich es übertrieben, bin zu blind nach vorne gerannt - und wurde ausgekontert. Am Ende war er einfach zu stark.
Die Winkel, der Spin, dazu seine bis heute exzellente Beinarbeit - Rafa hatte schon früh das komplette Paket. Seine Fähigkeit, auch aus der ärgsten Bedrängnis noch Winner schlagen zu können, hat nicht nur mich überfordert. Das suchte die nächsten 20 Jahre seinesgleichen. Ich könnte immer noch keine Schwäche aufzählen oder behaupten: Wenn man so oder so gegen ihn spielt, dann hat man ihn. Das geht nicht. Gegen ihn gibt es kein Patentrezept.
Ist Euch schon mal etwas aufgefallen? Rafael Nadal sieht man nie an, wie es steht. Wo bei anderen die Körpersprache nachlässt, ist er immer gleich. Immer voll konzentriert. Routiniert. Auf seine Rituale fixiert. Das kann zermürbend sein.
2005 wusste man das alles noch nicht so genau. Ich weiß nur noch, dass ich über die Niederlage sehr enttäuscht war, weil ich mich zuvor im Training deutlich stärker gefühlt habe als im Match. Aber vielleicht ist das auch ein Teil seines Erfolgsgeheimnisses - dass er den Gegner schwächer macht. Einfach, weil er Nadal ist.
Seine Kunst war schon damals, jeden Punkt so zu spielen, als wäre es sein letzter. Vollgas. Jeden. Einzelnen. Punkt. Ist Euch schon mal etwas aufgefallen? Rafael Nadal sieht man nie an, wie es steht. Wo bei anderen die Körpersprache nachlässt, ist er immer gleich. Immer voll konzentriert. Routiniert. Auf seine Rituale fixiert. Das kann zermürbend sein. Und beeindruckend.
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Rafael Nadal bei seinem ersten Auftritt bei den French Open 2005

Fotocredit: Getty Images

Ich habe mir mein Match gegen Rafa im Nachhinein hier und da nochmal ausschnittsweise angesehen. Einzelne Ballwechsel. Ich muss sagen: Ich wäre gerne heute noch so beweglich! Ich muss aber auch zugeben: Ich bin schon ein bisschen stolz, wenn ich mich da so sehe. Wenn man auf der Tour ist und nicht gerade Nadal heißt, fährt man nahezu jede Woche mit einem schlechten Gefühl und einer Niederlage im Gepäck nach Hause. So richtig würdigen, was man erreicht hat, kann man eigentlich erst danach mit den Jahren.
Dass ich eine professionelle Tennis-Karriere haben würde, war lange gar nicht klar. Mein Credo war: Schule geht vor, Tennis kommt erst danach. Nach meinem Abitur war ich zwar schon relativ gut im Tennis, hatte aber nicht wirklich im Kopf, jetzt Profi zu werden und 15 Jahre lang um den Globus zu tingeln. Zunächst war es nur ein Versuch: Ich spiele jetzt mal ein Jahr - und wenn es nicht klappt, fange ich halt an zu studieren. Vielleicht habe ich mir dadurch auch ein wenig den Druck genommen.
Bei den Australian Open und bei den US Open habe ich gegen Roger Federer gespielt, in Wimbledon gegen Andre Agassi, in Paris gegen Nadal - das sind tolle Erinnerungen für mich. Das war eine super Zeit.
Im ersten Jahr hat das gut geklappt, also habe ich noch ein Jahr dran gehängt. So ging es weiter, bis ich an den Top 100 gekratzt habe. Im Jahr 2001, mit 25, stand ich dann am Scheideweg. Ich habe mir ein Ultimatum gesetzt: Wenn ich jetzt nicht den Sprung in die ersten 100 schaffe, wird es nichts mehr. Dann mache ich was anderes. Es wurde mein bis dato bestes Jahr.
Was einige vielleicht nicht wissen: Es besteht ein immens großer Unterschied, ob du die 130 der Welt bist oder knapp innerhalb der Top 100. Denn nur wenn du zweistellig stehst, bist du bei den Grand Slams im Hauptfeld dabei. Dieser Sprung ist gigantisch. Deswegen war es für mich auch so wichtig.
Das Lustige ist: Weil ich als Tennis-Profi aktiv war, hatte ich genügend Wartesemester gesammelt, um gleich mit einem Medizinstudium anfangen zu können.
Wenn du in den Top 100 bist, überlegst du nicht, etwas anderes zu machen. Ich habe es geschafft und war fortan für viele Jahre bei allen Grand-Slam-Turnieren am Start. Bei den Australian Open und bei den US Open habe ich gegen Roger Federer gespielt, in Wimbledon gegen Andre Agassi, in Paris gegen Nadal - das sind tolle Erinnerungen für mich. Das war eine super Zeit.
Erst 2008 neigte sich meine Karriere dem Ende zu. Die Platzierung war nicht mehr so gut, Verletzungen kamen dazu - und noch mal von ganz unten anfangen wollte ich nicht mehr. Also habe ich aufgehört.
Zunächst mal war ich mir gar nicht sicher, was ich machen sollte. Das Lustige ist: Weil ich als Tennis-Profi aktiv war, hatte ich genügend Wartesemester gesammelt, um gleich mit einem Medizinstudium anfangen zu können. Auch wenn zunächst andere Gedanken im Vordergrund waren - Tennistrainer, Coaching, Management - dachte ich mir: Das probiere ich jetzt einfach mal. Ich wollte auch nicht mehr so viel reisen müssen, nicht mehr 50 Wochen im Jahr unterwegs sein.
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Lars Burgsmüller arbeitet mittlerweile als Arzt

Fotocredit: Getty Images

Die Entscheidung war genau richtig. Das Studium lief gut und hat mir Spaß gemacht. 2016 habe ich im Fachbereich Orthopädie und Unfallchirurgie promoviert, mein Thema war sogar ein Sportliches ('Verletzungen im Inline-Skaterhockey und Rollhockey'). Heute arbeite ich an einem Klinikum in Essen in der Radiologie und bin total happy damit.
Rafael Nadal wünsche ich für seinen letzten Auftritt in Paris einfach nur, dass er schmerzfrei durchspielen kann. Er soll spielen, soweit es ihn trägt. Deswegen rufe ich ihm gerne zu: Zieh's durch, Rafa! Geh' erhobenen Hauptes vom Court.
Heute, im Jahr 2024 ist meine Tennis-Karriere sehr weit weg für mich. Obwohl ich schon lange kein Tennis mehr gespielt habe, fühle ich mich immer noch als Sportler. Das bleibt einem wohl. Wenn die großen Turniere, wie jetzt die French Open anstehen, steigt auch mein Interesse am Tennis wieder. Bei Grand Slams schaue ich gerne rein. Dieses Jahr fahre ich sogar selbst als Zuschauer nach Paris. Weil ich das auch meinen Kindern, 14, 12 und 8 Jahre alt, mal zeigen wollte. Von den heutigen Spielern schaue ich Jannik Sinner sehr gerne zu, ich mag, wie er spielt. Matches mit Carlos Alcaraz sind natürlich auch immer spektakulär. Und Alexander Zverev schaue ich mir auch sehr gerne an.
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Euphorische Begrüßung: Nadal kehrt nach Roland-Garros zurück

Rafael Nadal wünsche ich für seinen mutmaßlich letzten Auftritt in Paris einfach nur, dass er schmerzfrei durchspielen kann. Er soll spielen, soweit es ihn trägt. Es wäre zu schade, wenn er irgendwann aufgeben müsste, weil sein Körper nicht mehr kann. Deswegen rufe ich ihm gerne zu: Zieh's durch, Rafa! Geh' erhobenen Hauptes vom Court.
Ich selbst bin natürlich stolz, ein Teil dieser Geschichte zu sein - wenn auch nur ein kleiner, für mich nicht sehr erfolgreicher. Ab und zu bekomme ich auch heute noch Presseanfragen aus den unterschiedlichsten Ländern, um über das Spiel gegen Nadal zu reden. Und manchmal fragt mich auch ein Patient, ob ich mal Tennis gespielt habe.
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Hammerlos in der ersten Runde: Hier bekommt Zverev Nadal zugelost

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