Jesús Gil y Gil: Der Sonnenkönig mit dem Faible für Krokodile
Update 12/05/2020 um 12:14 GMT+2 Uhr
Unter seiner Ägide wäre Atlético Madrid fast zu Grunde gegangen. Bis heute - auch 16 Jahre nach seinem Tod - zählt Jesús Gil y Gil zu den schillerndsten Figuren der Fußballgeschichte. In Teil eins unserer Serie widmen wir uns dem durchaus streitbaren Sonnenkönig von Madrid, der ein Leben in Saus und Braus führte und für etliche kuriose Geschichten sorgte.
Jesus und Che Guevara.
Die Liste der Vorbilder von Jesús Gil y Gil ist ebenso kurz wie knackig. Und sie lässt tief blicken. Denn wer einen Heiligen und einen Revoluzzer zum eigenen Ideal auserkoren hat, der ist entweder übergeschnappt oder vollgepumpt mit Selbstbewusstsein.
Der ehemalige Präsident von Altético Madrid war irgendwie beides.
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Aufgewachsen im Dörfchen Burgo de Osma war dieser Berg von einem Mann Ende der 1980er-Jahre nach abgebrochenem Tiermedizin- und WIrtschaftsstudium auf dubiosen Wegen Unternehmer, Multimillionär und Politiker geworden.
Im Jahr 1987 übernahm er als Präsidenten-Nachfolger des legendären Vicente Calderón die Geschicke bei "Atléti", was ihn zu einem der einflussreichsten Männer Spaniens machte. Denn in kaum einem anderen Land zählt das Wort eines Vereinsbosses so viel wie hier.
17 Jahre lang zehrte Gil von dieser Macht, baute sie aus, führte den Verein wie ein Sonnenkönig und wurde größer und größer. Er liebte seinen Klub, aber er zerstörte ihn auch fast, weil er (stets) auf seinen eigenen Vorteil bedacht war.
Erst Gefängnis, dann begnadigt
"Für Gil war Atlético doch nur eine Möglichkeit, sein ramponiertes Image aufzupolieren", vermutete Mariano Campos schon immer.
Der Madrider Unternehmer war engster Mitarbeiter des unterlegenen Gegenkandidaten Enrique Sánchez de Léon bei Gils Wahl zum Atlético-Präsidenten gewesen. Wenig später zählte er zu den fünf Rebellen, die der neue starke Mann höchstpersönlich aus seinem Verein werfen ließ.
1969 war in Los Angeles de San Rafael eine Festhalle des Bauunternehmers Gil zusammengestürzt, 58 Menschen starben. Wegen fahrlässiger Tötung hatte man Gil zu fünf Jahren Haft verurteilt, von denen er nur eineinhalb Jahre verbüßte. Luis Carrero Blancos, die rechten Hand des Generalissimus Franco, hatte auf die Begnadigung hingewirkt.
Um sich öffentlich reinzuwaschen erschien Gil der gebeutelte Fußballklub - stets zwischen großen Erfolgen und tiefen Tälern wandelnd - gerade recht.
Gil macht Atlético zu seinem Besitz
Mit Gils Übernahme, begann bei Atlético und im ganzen spanischen Fußball eine neue Zeitrechnung. Einen solch exzentrischen Alleinherrscher hatte der Sport noch nicht gesehen.
"Wenn er nach Abpfiff zu uns in die Umkleide polterte, versteckte sich die Hälfte der Mannschaft auf dem Klo und kam erst wieder raus, wenn sie hörte, dass er nicht brüllte“, erinnert sich Ex-Kapitän Paulo Futre, eine der ersten großen Verpflichtungen Gils, der dessen Gehalt zwischenzeitlich aus eigener Tasche bezahlte.
Ohnehin war er bald nicht mehr nur Präsident des Klubs - er war der Verein. Er wandelte Atlético in eine sogenannte Sport-Aktiengesellschaft um, kaufte in einer Nacht- und Nebelaktion zusammen mit seinem Geschäftspartner Enrique Cerezo 94,5 Prozent der Anteile und finanzierte dies über Bürgschaften, die sofort wieder zurückflossen.
Nun konnte er schalten und walten, wie er wollte. Und er wollte.
Teure Stars statt Raul
1992 machte er die Jugendabteilung des Vereins dicht, um das Geld in "wichtigere Dinge" zu stecken. So kam es, dass verheißungsvolle Talente wie ein gewisser Raul Gonzales keine Perspektive mehr hatten und den Verein verließen.
Stattdessen tummelten sich bald jede Menge teure Stars im Vicente Calderón. Juninho und Christian Vieri waren dabei. Oder der vom FC Bayern München verpflichtete Adolfo Valencia.
"Diesem Scheiß-Neger schneide ich die Kehle durch", wütete Gil, als der Kolumbianer nicht wie erhofft traf. Es war nicht sein einziger rassistischer, homophober oder schlicht beleidigender Ausraster. Eigentlich waren es sogar zu viele, um sie hier aufzuführen.
Mit Krokodilen und Elefanten durch Madrid
Nach einem Champions-League-Spiel gegen Ajax Amsterdam bezeichnete er das Team von Ajax Amsterdam einst als "FC Kongo", weil auf Seiten der Niederländer viele afrikanische Spieler unter Vertrag standen.
Über den geplatzten Wechsel des Stürmers Jürgen Klinsmann berichtete Gil einmal, er hab diesen nicht verpflichtet, weil der Deutsche schwul sei. Schiedsrichter verunglimpfte der Atléti-Patron sowieso am laufenden Band. Am liebsten vor laufender Kamera.
Noch in seinem letzten Jahr als Präsident befand er: "Manche unserer Spieler verdienen es nicht zu leben." Da hatte sein Atlético gerade einmal verloren.
Wenn man ihn morgens nackt in New York aussetzt, geht er abends dort schick essen.
Das kam durchaus oft vor. Mit dem Verein ging es eigentlich ständig auf und ab. Sowohl sportlich als auch finanziell.
Nach dem nationalen Doublegewinn 1996 zelebrierte Gil sich und den Verein nach allen Regeln der Kunst selbst und ließ lebende Elefanten durch Madrid marschieren. "El Presi" tauchte auch schonmall mit angeleintem Krokodil im Stadion auf.
Lief es mal weniger gut, feuert Gil mit wachsender Begeisterung den Trainer. 26 in 16 Jahren seiner Regentschaft waren es - darunter Ausnahmekönner wie Luis Aragones, Arrigo Sacchi, Cesar Luis Menotti oder Javier Clemente . "Ich kann Trainer feuern, wie andere Leute Bier trinken. 80 oder 100 pro Jahr. Das ist mir egal", beschrieb er dies selbst.
Über sich redete Gil sowieso am liebsten - dann gern in der dritten Person: "Jesús Gil ist superintelligent, weit über dem Durchschnitt. Wenn man ihn morgens nackt in New York aussetzt, geht er abends dort schick essen." Nun denn...
Dem Untergang geweiht
Dieser Überzeugung war er auch noch, als er den Klub zu Beginn des neuen Jahrtausends fast in den Untergang gewirtschaftet hatte. Beim Abstieg im Frühsommer 2000 - dem ersten seit 70 Jahren - war der Verein dem Untergang geweiht.
Man stand vor dem Chaos, die Fans gingen auf die Barrikaden. Gil hatte vor allem durch seine ausbleibenden Steuerzahlungen einen gewaltigen Schuldenberg angehäuft. Bis heute ist dieser noch nicht vollständig abgezahlt. Nur durch kräftiges Augenzudrücken von Seiten des spanischen Staates wurde der Verein gerettet.
Er sei nur in die Politik gegangen, um seine eigenen Geschäfte wieder ins Laufen zu bringen, betonte Gil immer wieder. Seine Rolle auf der überdrehten spanischen Fußballshowbühne war dann die nötige die Tarnung für seine krummen Deals, die er auch als in der Rückschau mehr als umstrittener) Bürgermeister des Ferienorts Marbella einstielte.
Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Veruntreuung
Dem Bauboom in "seiner Stadt" verdankte er seinen Reichtum. Doch der Wind hat sich gedreht. Inzwischen wird nur noch hinter vorgehaltener Hand gut über den ehemaligen Patron gesprochen. Sowohl bei Atlético als auch in Marbella.
Als die Stastsanwaltschaft wegen Veruntreuung von 27 Millionen Euro ermittelte, wurde er 2002 seines Amtes als Bürgermeister enthoben. Ein Jahr später trat er als Atlético-Präsident zurück.
Sich selbst keiner Schuld bewusst tönte er: "Es gibt so viele Dilettanten, die mich kritisiert haben. Mit 70 Jahren muss ich mir das nicht mehr antun."
Am 14. Mai 2004 schließlich starb Jesús Gil y Gil an einem Hirnschlag. Sein Klub steuerte danach in ruhigere Fahrwasser und gehört heute tatsächlich zu Europas absoluter Elite.
In der heutigen Zeit werden sie oft vermisst und die gute alte Zeit beschworen. Dann ist von den sogenannten "Typen" die Rede, die dem Fußball mittlerweile fehlen. Ob dies so ist, soll nicht unser Thema sein. Vielmehr haben wir uns auf die Suche begeben, nach Akteuren, die dem Fußballbusiness ihren Stempel aufdrückten, oder dies nach wie vor tun. Es sind die außergewöhnlichen Charaktere, Enfant terribles und bunten Vögel. In unserer Serie über die schillerndsten Figuren des Fußballs haben wir ihre Geschichten aufgeschrieben.
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